Das Wirken der Unendlichkeit
Hause ausziehen. Ich drohte ihr sogar damit, die Fahrstunden abzubrechen. Sie weinte und gestand, daß sie eine Affäre mit ihrem Chef hatte. Ich sprang aus dem Wagen und trat vor Empörung gegen die Tür. Doch das war noch nicht alles. Ich hörte, wie ich dem Vater meiner Verlobten sagte, er sollte nicht wie geplant nach Oregon ziehen. Ich schrie aus Leibeskräften, das sei eine Dummheit. Ich glaubte wirklich, die Gründe, die ich dagegen anführte, seien unwiderlegbar. Ich legte ihm Zahlen vor, die ich errechnet hatte und die seine zu erwartenden Verluste auswiesen. Als er nicht auf mich hörte, stürmte ich bebend vor Wut aus dem Zimmer und warf die Tür hinter mir ins Schloß. Ich fand meine Verlobte im Wohnzimmer, wo sie Gitarre spielte. Ich riß ihr das Instrument aus den Händen und schrie sie an, sie umarme die Gitarre, anstatt sie zu spielen, als sei sie mehr als nur ein Gegenstand.
Der Drang, meinen Willen durchzusetzen, erstreckte sich auf alles. Ich machte keine Unterschiede. Wer immer mir nahestand, war da, damit ich ihn besitzen und je nach Laune formen konnte.
Ich musste über die Bedeutung meiner plötzlich so lebendigen Erinnerungen nicht nachdenken, denn mich überkam wie von außerhalb meiner selbst eine absolute Sicherheit. Sie sagte mir, daß meine Schwäche die Vorstellung war, ich müsse ständig der Mann im Stuhl des Regisseurs sein. Der Gedanke, ich müsse nicht nur den Ton angeben, sondern in jeder Situation die Kontrolle haben, war tief in mir verwurzelt gewesen. Die Art und Weise meiner Erziehung hatte diesen Drang verstärkt, der anfangs unbestimmt gewesen sein muss, sich jedoch, als ich erwachsen wurde, in einen Zwang verwandelt hatte.
Mir war über jeden Zweifel hinaus bewusst, daß es um die Unendlichkeit ging. Don Juan hatte sie als eine bewusste Kraft dargestellt, die vorsätzlich in das Leben der Zauberer eingreift. Jetzt griff sie in mein Leben ein. Ich wusste, die Unendlichkeit machte mir durch die lebendigen Erinnerungen an diese vergessenen Ereignisse die Intensität und das Ausmaß meines Drangs nach Kontrolle bewusst und bereitete mich so auf etwas vor, das über mich hinausging. Ich wusste mit erschreckender Gewißheit, irgend etwas würde jede Möglichkeit verhindern, daß ich die Kontrolle ausübte und daß ich angesichts der Dinge, die, wie ich spürte, auf mich zukamen, mehr als alles andere Nüchternheit, Beweglichkeit und Selbstaufgabe brauchen würde.
Natürlich sagte ich das alles Don Juan und erging mich nach Herzenslust in Spekulationen und meinen inspirierten Erkenntnissen über die mögliche Bedeutung meiner Erinnerungen.
Don Juan lachte gutmütig. »Das ist alles psychologische Übertreibung und reines Wunschdenken«, sagte er. »Du suchst wie üblich Erklärungen für die linearen Ursachen und Wirkungen. Jede deiner Erinnerungen wird lebendiger und ungestümer, weil du dich, wie ich dir bereits gesagt habe, in einem unumkehrbaren Prozeß befindest. Dein wahres Bewusstsein tritt in Erscheinung. Es erwacht aus einem Zustand lebenslanger Lethargie. Die Unendlichkeit erhebt Anspruch auf dich«, fuhr er fort. »Ganz gleich, zu welchen Mitteln sie greift, um dir zu zeigen, daß du keinen anderen Grund, keinen anderen Zweck, keinen anderen Wert als das haben kannst. Aber du solltest auf den immer neuen Ansturm der Unendlichkeit vorbereitet sein. Du musst dich im Zustand ständiger Bereitschaft für einen Schlag von ungeheurer Gewalt befinden. Das ist die vernünftige und nüchterne Art, wie Zauberer der Unendlichkeit gegenübertreten.«
Don Juans Worte hinterließen einen schlechten Geschmack in meinem Mund. Ich spürte den Ansturm tatsächlich kommen und fürchtete mich davor. Da ich mich mein Leben lang hinter irgendwelchen unnötigen Aktivitäten versteckt hatte, vergrub ich mich in meine Arbeit. Ich hielt Vorlesungen in Kursen, die meine Freunde an verschiedenen Hochschulen in Südkalifornien gaben. Ich schrieb viel. Ich kann ohne Übertreibung sagen, daß ich Dutzende von Manuskripten in den Papierkorb warf, weil sie ein unverzichtbares Merkmal nicht erfüllten, das Don Juan als das Kennzeichen von etwas definiert hatte, das die Unendlichkeit akzeptiert.
Er hatte gesagt, mein ganzes Tun müsse das Tun eines Zauberers sein. Das Tun dürfe nicht von Erwartungen, von der Angst vor dem Versagen und von der Hoffnung auf Erfolg beeinträchtigt werden. Es müsse frei sein von meinem /c/z-Kult. All mein Tun, so forderte er, müsse spontan und unvorbereitet sein -
Weitere Kostenlose Bücher