Das Wispern der Schatten - Roman

interessante Möglichkeiten, meine Liebe. Erinnerst du dich an deine Ursprünge?«
    Freda streckte die Zungenspitze aus dem Mund und kniff die Augen vor Anstrengung zusammen, da es sie große Mühe kostete, sich an etwas so weit Zurückliegendes zu erinnern. Da waren körperliche Empfindungen und Geräusche. Schreie, aber sie wusste nicht, wer sie ausgestoßen hatte. Es war niemand da gewesen, oder? Nein, es war niemand da gewesen, bis Norfred sie gefunden hatte– oder bis sie ihn gefunden hatte, wie auch immer. Wie lange war sie zu Anfang allein gewesen? Sie hatte keinen Maßstab. » Nein, Freund Anupal. Ich habe damals nichts davon verstanden und weiß immer noch nicht, wie ich es beschreiben soll. Ich war im Boden. Das ist alles.« Sie hielt inne. » Aber die Pflanzen nehmen ihren Ausgang auch im Boden, nicht wahr, und wachsen dann nach oben, so wie ich nach oben gekommen bin. Vielleicht bin ich doch ein wenig wie gewöhnliche Dinge. Ich möchte nicht gern allzu sehr wie die Hohen Herrscher sein. Bitte sag, dass ich nicht wie sie bin!«
    » Schon gut, schon gut«, erwiderte der Sonderbare leichthin und reckte sich. » Lass dir darüber keine grauen Haare wachsen.«
    Freda streckte die Unterlippe vor. » Sei nicht so gemein! Ich habe nur deshalb keine Haare, weil ich keine brauche, um mich warm zu halten. Aber sag, was sind denn deine Ursprünge?«
    Er blinzelte überrascht und musterte sie. » Meine Liebe, es war nicht meine Absicht, gemein zu sein. Was ich gesagt habe, hat eine übertragene Bedeutung. Es tut mir leid, dass ich meine Worte nicht vorsichtiger gewählt habe. Wörter sind tückisch, da wirst du mir sicher zustimmen. Was nun meine Ursprünge angeht, na ja, so sind sie in gewissem Maße umstritten. Viele behaupten, ich wäre vom Geas erschaffen worden, und ich nehme an, das glaubt auch das Geas.«
    Freda neigte den Kopf erst zur einen, dann zur anderen Seite. Der Priester des Felsgotts hatte ihr gesagt, dass sie ein Teil des Geas sei, aber auch, dass sie das Geas an einem Ort namens Freistatt finden sollte. » Bist du also kein Teil des Geas, Freund Anupal?«
    Der Sonderbare verzog das Gesicht, als hätte er Schmerzen. » Nun ja, das bin ich und bin es doch nicht, verstehst du? Das Geas war notwendig für mich, um auf die Welt zu kommen. Es dachte wahrscheinlich, der Einfall, mich zu erschaffen, sei ihm von allein gekommen, aber ich habe den Samen dazu selbst gesät. Dann hat das Geas mich hier erschaffen, sodass ich diese Welt betreten konnte. Verstehst du?«
    » Ja. Nein. Aber weißt du, wo das Geas ist?«
    Der Sonderbare wirkte gereizt. » Nein. Wie auch die anderen Götter hat sie mich hinausgeworfen. Keiner von uns weiß, wo oder wie wir zu ihr zurückfinden können. Sie sagte, wir würden einen Weg finden, wenn sie es für notwendig hielte, dass wir zu ihr zurückkehren. Etwas eigensüchtig, nicht wahr? Aber warum erzähle ich dir das alles?«
    Freda zuckte mit den Schultern. » Weil du es willst? Weil ich dich danach gefragt habe und deine Freundin bin?«
    » Ja, vermutlich.« Der Sonderbare nickte und schlug sich seitlich an den Helm, bis er klirrte. » Ah! So ist es besser. Jedenfalls sind wir rechtzeitig dorthin gelangt, wo wir sein müssen. Du kannst es dir genauso gut gemütlich machen. Die, denen wir begegnen müssen, werden bald hier vorbeikommen.« Er setzte sich mitten auf die Kreuzung und legte sich dann auf den Rücken.
    Freda rollte sich neben ihm zusammen. Ihre Gliedmaßen scharrten übereinander. » Woher weißt du, dass das hier der richtige Ort ist, Freund Anupal? Du bist diesen anderen doch noch nicht begegnet, oder? Du bist noch nicht mit ihnen befreundet, nicht wahr? Und ich habe mich auch schon gefragt, woher du wusstest, wo du mich finden würdest.«
    Er öffnete ein Auge und schaute zu ihr hoch. » Wir stecken aber heute voller Fragen, was? Hörst du nicht all die Stimmen im Wind? Wenn du genau zuhörst, wirst du Millionen davon hören, manche leiser als andere.«
    Sie lauschte eine ganze Weile. » Alles, was ich höre, ist der Wind.«
    Er schüttelte den Kopf, sodass sein glänzender Helm leicht auf der Straße knirschte. » Der Wind selbst bringt kein Geräusch hervor. Es besteht aus allen Klängen und Bewegungen der Welt. Wenn alle zugleich reden und umhergehen, erzeugt das grässlichen Lärm und einen höchst machtvollen Sog, wie du dir sicher vorstellen kannst, eine Kraft, die Wolken bewegen, Stürme erschaffen und Bäume umreißen kann und so weiter. Wenn man lange