Das Wispern der Schatten - Roman
Seine Augen waren leer, als er sagte: » Du bist weise, Flachländer, das verstehe ich nun. Es gibt so viel zu lernen. Aber ich habe nicht die nötige Kleidung, von der du sprichst, und ich habe keinen Lehrer. Was soll ich tun?«
Der Prediger runzelte die Stirn. » Nun, bade erst einmal, rasier dich und kleide dich an, so gut es geht. Dann werde ich in Erwägung ziehen, dich zu unterweisen.«
» Wirklich? Oh, das wäre wunderbar! Ich fürchte, sonst hätte ich keine Aussicht auf Erlösung!«
Prediger Praxis bedachte ihn mit einem nachsichtigen Lächeln. » In der Tat, du hättest gewiss keine. Du hast Glück, dass ich hergekommen bin, Heide– nein, dass der geweihte Heilige so weise war, mich auf diese Mission zu entsenden. Wahrlich, deine Bekehrung wäre ein Wunder, das jeden Prediger zum Heiligen machen könnte!«
Torpeths Augen wurden groß und starr, als wäre er von einer Vision übermannt worden. » Flachländer, ich sehe es!«
» Was siehst du?«, fragte der Prediger drängend. » Ist dies ein Augenblick der Offenbarung?«
» Ich sehe es, Flachländer!«
» Sag ’s mir, du Ungeziefer! Ich befehle es dir! Was siehst du?«
» Du… Oh, wir sind gesegnet! Du bist… du bist kein Prediger mehr. Du bist…«
» Ja, ja? Sprich!«
» Du bist der heilige Praxis.«
» Ah!«, wimmerte der Prediger und fiel mit gefalteten Händen auf die Knie. » Gesegnete Erlöser, ich bin euer getreuer Diener! Seid gepriesen! Bete mit mir, demütiger Torpeth!«
Torpeth fiel ebenfalls auf die Knie und ahmte den Prediger nach.
» Komm mir nicht zu nahe. Du stinkst immer noch. Ja, gut so.«
» Und du wirst mein ganzes Volk zur Erlösung führen!«, rief Torpeth.
» So ist es!«
» Du wirst mich den Berg hinabführen, heiliger Praxis, denn du wirst jetzt einen Diener brauchen, da du dich doch größeren und heiligen Pflichten widmen musst.«
» Ja, ja, so ist es. Du wirst mich begleiten. Du wirst mein Diener sein. Gepriesen seien die Erlöser!«
Der Sonderbare glitt aus der Luft herab und stampfte mitten auf dem Kreuzweg dreimal mit dem Fuß auf. » Meine Liebe, wir sind da!«
Von unten ertönte ein Grollen, dem ein Erdbeben folgte. Kleine Steine vibrierten, als der Boden sich wie eine Flüssigkeit zu verformen begann und ein riesiger Brocken aus den Tiefen aufstieg. Freda trat auf festeren Boden, wischte sich den Schmutz aus den Augen und sah sich um.
» Ich kann nicht viel sehen, Freund Anupal. Diese Straße ist kalkreich und spiegelt viel Licht wider. Und was ist das für weißes Zeug auf den kleinen Bäumen? Kreidestaub?«
Der Sonderbare lächelte. » Nein, das nennt man Schnee. Es ist gefrorenes Wasser, das vom Himmel fällt.«
» Es tropft von der Decke?«
» Sozusagen. Und die kleinen Bäume heißen Büsche. Viele Büsche wie diese hier in einer Reihe nennt man Hecke.«
» In diesen Hecken leben viele Wesen– zum Beispiel ein Ding mit langen… Ohren?«
» Wahrscheinlich ein Kaninchen oder vielleicht ein Hase. Oder halten sie um diese Jahreszeit Winterschlaf? Ich bin mir nicht sicher. Dann könnte es auch ein Kobold sein. Mach dir keine Sorgen, Freda, wir sind nicht in Gefahr.«
Freda schaute sich noch ein wenig um, sah jede Straße des Kreuzwegs entlang und versuchte dann, in die winterbraunen Hecken zu spähen. » Hinter den Hecken liegt flacher Schlamm. Und der Schlamm ist in Reihen angeordnet.«
» Diese Schlammflächen heißen Felder. Im Augenblick ist die Sonnenkugel weit entfernt. Deshalb ist es so kalt, und es liegt Schnee. Aber wenn die Sonnenkugel näher herankommt, weckt die Wärme alles auf, und essbare Pflanzen sprießen in großer Zahl auf den Feldern. Pflanzen gewinnen Energie aus Licht und Wärme, verstehst du? Dann wachsen sie.«
» Ja?«, fragte Freda zweifelnd. » Dann sind sie ganz anders als ich, denn ich mag das Licht nicht, und ob es warm oder kalt ist, ist mir gleich.«
Der Sonderbare wischte sich tote Insekten aus dem Gesicht. Beim Fliegen war man immer in Gefahr, welche abzubekommen. » In der Tat, meine Liebe, du bist anders als die meisten Dinge. Fast alle Lebewesen dieser Welt benötigen Licht und Wärme. Die Bergleute, mit denen du gearbeitet hast, waren wahrscheinlich schwach oder häufig krank, weil sie nicht genug Licht bekommen haben. Bis auf dich sind, soweit ich weiß, die Andersweltler die Einzigen, die weder Licht noch Wärme brauchen– diejenigen, die du als die Hohen Herrscher kennst. Ein bemerkenswerter Zufall, wenn man an so etwas glaubt. Daraus ergeben sich
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