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Das Wispern der Schatten - Roman

Das Wispern der Schatten - Roman

Titel: Das Wispern der Schatten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam J Dalton
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Praxis mit der Art von Empörung und Ekel auf ihn herabstarrte, die ihm auch früher stets anzusehen gewesen waren, wenn es Jillan im Unterricht nicht gelungen war, eine Frage korrekt zu beantworten, oder wenn er etwas getan hatte, das Praxis für blasphemisch hielt. Es war die gleiche Art von Empörung und Ekel, mit der der Prediger sie immer vor den finsteren und heimtückischen Gedanken des Chaos gewarnt und Jillan Schuldgefühle eingeflößt hatte. Denn der Makel gab ihm doch finstere, heimtückische Gedanken ein, nicht wahr, und war deshalb gewiss die Stimme des Chaos? Er fühlte sich schmutzig und sündhaft und ließ beschämt den Kopf hängen. Der Selbsthass übermannte ihn so heftig, dass er erbärmlich zitterte.
    » Was ist mit ihm?«, fragte Aspin, aber Jillan hörte ihn kaum.
    » Erschöpfung und Trauer. Ich glaube nicht, dass er geschlafen oder etwas gegessen hat, seit… Nun, ihr wisst schon. Er braucht Ruhe«, sagte Thomas.
    Ein gertenschlanker, weißhaariger Krieger trat durchs Tor, um sie zu empfangen. Seine Haut war von dem langen Leben, das er zwischen den hohen Gipfeln verbracht hatte, kastanienfarben gebräunt. Sein Gesicht war von Falten durchzogen wie altes Leder, aber seine blauen Augen waren jung, und er bewegte sich so anmutig wie ein Mann, der halb so alt war wie er. Er strahlte eine Ausgeglichenheit aus, die davon zeugte, dass er entweder heilig oder ein tödlicher Krieger war, vielleicht sogar beides.
    Aspin verneigte sich so tief, dass sein Kopf beinahe den Boden berührte, und Thomas und Ash hielten es ebenfalls für klug, die Köpfe zu neigen. Jillans Kinn ruhte ohnehin schon auf seiner Brust.
    » Steh auf, mein Sohn. Ich bin froh, dich hier vor mir zu sehen.«
    Aspin richtete sich stolz vor dem Ältesten auf. » Verehrter Vater, dies sind gute Männer, und ich bitte dich darum, sie zu beachten. Dies hier ist Thomas Eisenschuh, dessen Herz seine Brust ausfüllt und dessen Kraft die Berge erschüttert. Dies ist Ash aus den Wäldern, der ein Wesensverwandter der Wölfe ist und doch mit dem Wind lacht. Und das ist Jillan Jägersohn, der Bruder meines Herzens.«
    Slavins blaue Augen musterten Thomas und Ash, bevor er sie jeweils mit einem sanften, anerkennenden Nicken bedachte. Dann richtete sich sein Blick auf Jillan und blieb eine ganze Weile auf ihm ruhen. » Dein Bruder ist übel zugerichtet. Die Reise muss ihn mitgenommen haben. Er ist vorerst von einer Audienz bei unserem jungen Häuptling entschuldigt.«
    » Ich bringe ihn irgendwohin, wo er sich hinlegen kann«, bot Ash an.
    Slavin neigte den Kopf. » Gut. Aspin und Thomas müssen sich sofort im Wirtshaus einfinden.«
    » Im Wirtshaus?«, fragte Ash mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem seltsamen Schmatzen.
    Slavin wandte sich ihm langsam wieder zu. » Anscheinend fühlt sich der junge Häuptling auf einem Thron aus Bierfässern am wohlsten.«
    Wie betäubt folgte Jillan Ash durch die winterlichen Straßen von Gottesgabe. Wasser und Blut waren in den matschigen Karrenspuren gefroren, und die Gosse beiderseits der Straße war von Kot und Unrat verstopft. Eine Leiche lag mit aufgerissenen Augen und offenem Mund in einer der Rinnen und sah alles andere als menschlich aus. Sie war so aufgequollen und verfärbt, dass sie eher wie einer der seltsamen Fische wirkte, die man in den tiefen Waldteichen fand. Trotz der Kälte stank die Stadt nach Verwesung. Ash hielt sich mit dem Ärmel die Nase zu.
    Sie kamen an der Veranda eines lang gestreckten Hauses vorbei. Ein alter Mann saß auf einem Schaukelstuhl am entgegengesetzten Ende und schien sie zu beobachten. Es war der alte Samuel. Jillan und die anderen Kinder von Gottesgabe hatten sich jeden Abend um ihn geschart, um seinen Erzählungen über die weite und wunderbare Welt jenseits der Stadtmauern zu lauschen. Der alte Mann hatte seine Pfeife geschmaucht und ihnen erzählt, dass sie, wenn sie nur schnell genug waren und aufmerksam hinsahen, kämpfende Drachen in den Rauchwolken erspähen würden. Er hatte behauptet, dass die Drachen nach oben stiegen, um mit den Wolken eins zu werden und dort zu wachsen, bis sie bereit waren, nach Osten zu fliegen und gegen die Barbaren zu kämpfen, oder sich dorthin zu wenden, wo andere Feinde des Reichs lauerten. Er hatte erzählt, dass die Regentropfen, die fielen, die Tränen wären, die alle Drachen vergossen, wenn einer der ihren bei der Verteidigung des Volks starb. Die Kinder waren darüber erschrocken oder traurig gewesen, aber Samuel hatte

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