Das Wispern der Schatten - Roman
noch schroffer. Das waren nicht seine Freunde! Sie waren Gestaltwandler oder dergleichen, die versuchten, ihn aus seiner eigenen Welt und von denen, die ihm wichtig waren, wegzulocken.
» Ich muss sagen, dass deine Bogenschüsse mich beeindruckt haben, Aspin. Und dein Kampfstil. Er war fast wie eine Art Tanz«, sagte Ash zu dem Bergkrieger.
Aspin lächelte. » So kämpfen bei meinem Volk alle, im Gleichgewicht und mit fließenden Bewegungen, genau wie wir sie in der umgebenden Natur sehen, die vom Geas geschaffen ist. Jeder Einzelne, ob jung oder alt, kann das lernen, wenn er sich der Betrachtung und Anbetung der Götter weiht. Die ältesten von uns sind gewöhnlich die geschmeidigsten und tödlichsten. Es ist ein großes Kompliment, wenn jemand, der älter als man selbst ist, sich auch nur dazu herablässt, einen zu beachten. Je älter jemand ist, desto bedeutender ist er. Jeder Mann sucht eine ältere Frau und jede Frau einen älteren Mann.«
Ash runzelte die Stirn. » Wirklich? Unsere alten Leute sind gemeinhin gebrechlich, sitzen herum und klagen und furzen den lieben langen Tag. Aber vielleicht ist das kein Wunder, da ihre Götter doch auch gebrochen sind.«
Das ist es. Es war, wie der Doppelgänger von Ash gesagt hatte. In dieser Version der Welt war irgendetwas gebrochen. Etwas Wichtiges war vorüber oder tot. Eine gewisse Unschuld war verloren gegangen. Die Unschuld in ihnen war gestorben, und sie waren finstere und verformte Abbilder ihrer selbst geworden.
Genau, wie deine geliebten Eltern gestorben sind, Jillan. Genau wie etwas in dir gestorben ist. Das ist ein Teil des Erwachsenwerdens.
Er verschloss die Ohren vor dem Makel, der raunenden, tückischen Kraft, die all dies überhaupt erst verursacht hatte. Jetzt wurde ihm bewusst, dass der Makel wahrscheinlich schon sein Leben lang seinem Verstand anhaftete, seine Taten beeinflusst und den Ereignissen seinen Stempel aufgedrückt hatte, obwohl Jillan das selbst nicht so recht bemerkt hatte: Wann immer er daran gedacht hatte, in Prediger Praxis’ Unterricht verstörende Fragen zu stellen, wann immer er zornigen Gedanken über Haal und die anderen nachgehangen hatte, wann immer er Albträume gehabt hatte, wann immer er gegen die Art aufbegehrt hatte, wie die Dinge nun einmal waren… Der Makel hatte all das getan, all diese Leute getötet und ihn hierhergebracht. Warum? Warum?
Der Makel seufzte. Wenn das Reich fallen soll, dann müssen viele sterben. Aber fürchte dich nicht vor dem Tod. Sei tapfer, Jillan, wie deine Eltern es dir gesagt haben.
Wage es nicht, sie zu erwähnen! Ich lasse nicht zu, dass du sie für deine Lügen missbrauchst, wie du alle anderen benutzt. Denn ich kenne deine Schliche und weiß, wer du bist und was du willst. Du bist der Tod! Du versuchst, alles und jeden zu vernichten. Du willst, dass das Reich und die Heiden gleichermaßen fallen. Das werde ich aber nicht zulassen, hörst du? Ich will, dass das Morden ein Ende hat! Es muss enden.
Vor seinem inneren Auge sah er wieder seine Eltern, von Feinden umzingelt. Seinetwegen hatten sie entsetzliche Verbrechen begangen und waren zu Ketzern geworden. Für ihn hatten sie sich selbst verdammt. Seinetwegen hatte seine Mutter ihrem Leben ein Ende gesetzt, seinetwegen hatte sein Vater sein Fleisch den Schwertern des Reichs in den Weg gestellt.
Warum ich? Ich wollte nicht, dass sie für mich sterben! Ich wollte den Fluch dieser Magie nicht. Ich werde sie nie wieder einsetzen, um zu töten, schwor sich Jillan.
Magie ist eine Sache des Willens, Jillan. Bevor er zu den Erlösern gezogen wird, kann jeder Magie aus sich und aus dem Geas ziehen, wenn er nur den Willen dazu hat. Dieser Wille muss eine Veränderung der Gegebenheiten anstreben und tapfer genug sein, etwas gegen die alteingesessenen Machthaber in seiner Gemeinschaft zu unternehmen. Nur sehr wenige wagen es, in solch jugendlichem Alter etwas zu unternehmen, denn von dem Augenblick an, in dem man zur Welt kommt, werden einem Verhaltensweisen, Gedanken, Glaubensinhalte und Lehrsätze von anderen eingegeben, die einen zu besitzen wünschen. Man wird von angeblich wohlmeinenden Eltern getadelt und bestraft, die selbst so behandelt worden sind, als sie noch jung waren; man wird von ebenso ängstlichen wie furchteinflößenden Predigern unterrichtet und gezüchtigt, und dann wird man ausgesaugt. Es wird einem selbst das Lebensnotwendige vorenthalten, wenn man sich nicht dem Dasein voller Mühsal und Selbstaufopferung widmet, das der
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