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Das Wispern der Schatten - Roman

Das Wispern der Schatten - Roman

Titel: Das Wispern der Schatten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam J Dalton
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gelacht und ihnen versichert, dass es, solange Wolken am Himmel standen, immer auch Drachen geben würde, die über sie wachten, und dass das Reich bis in alle Ewigkeit sicher sein würde.
    Heute hatten sich keine Kinder um den alten Samuel geschart, und er rauchte auch nicht seine Pfeife. Er hatte niemanden, der seinen Geschichten lauschte. Jillan war jenseits der Stadtmauern gewesen und hatte die weite, wunderbare Welt gesehen. Er wusste jetzt, dass die Geschichten des alten Samuel nur erfunden gewesen waren, um die Kinder zu unterhalten. Es gab nichts am Himmel, das weinte oder über sie wachte. Kinder waren nicht immer in Sicherheit, nur weil Wolken am Himmel standen. Wenn irgendjemand etwas anderes behauptete, dann war es eine Art Lüge und noch dazu eine gefährliche.
    Denn der alte Samuel war tot. Er saß mit für immer schmerzverzerrtem Gesicht in seinem Schaukelstuhl. Seine Haut war mit purpurnen Flecken übersät, seine Wangen und sein Kinn mit schwarzen Rinnsalen aus getrocknetem Blut bedeckt.
    » Es ist niemand hier«, flüsterte Ash, als ob er Angst davor hätte, die Toten zu stören. » Was meinst du, Aspins Leute haben doch wohl nicht alle umgebracht, oder?«
    Jillan zuckte niedergeschlagen mit den Schultern und stapfte an ihm vorbei.
    » Nein«, sagte Ash erleichtert. » Da drüben ist ein Kind. Siehst du es?«
    Jillan erhaschte einen Blick auf etwas weit Entferntes, aber es war zu klein und flink, als dass man es genau hätte erkennen können.
    » Und da drüben ist noch eines! Und dort! Sie verschwinden immer wieder, so als ob sie uns beobachten, sich dabei aber nicht erwischen lassen wollen. Sind die Leute hier in Gottesgabe so schüchtern?«
    Diesmal sah Jillan zwei von ihnen klar und deutlich: Kinder, die etwas jünger waren als er. Er erkannte sie nicht. Woher kamen sie? Aber das spielte keine Rolle. Ihnen war es wahrscheinlich darum zu tun, den mörderischen Bergbewohnern und jedem, der pestkrank sein mochte, aus dem Weg zu gehen, und das umfasste mittlerweile wahrscheinlich so gut wie alle in Gottesgabe. Es war wohl das Beste, dass sie es so hielten, denn auf die Weise gab es zumindest eine geringe Hoffnung, dass ein oder zwei von ihnen lange genug überleben würden, um aus Gottesgabe zu fliehen und irgendeine Stelle im Wald zu finden, an der es genug Nahrung und Unterschlupf gab, um zu gewährleisten, dass sie dereinst zu freien Erwachsenen heranwuchsen. Sie taten gut daran, den Menschen aus dem Weg zu gehen, denn allzu oft brachten einem die Menschen den Tod. Und es gab keine Drachen am Himmel, die über einen wachten.
    » In den Häusern sind wahrscheinlich Leute, aber sie liegen alle im Sterben«, sagte Jillan. » Es wird dort, wohin wir gehen, noch schlimmer sein, denn in der Südstadt wohnen vor allem Alte und Arme. Sie erkranken immer zuerst und sind selten stark genug, sich wieder zu erholen.«
    » Äh… na gut. Sag mal, du siehst so aus, als ob du jetzt eigentlich ganz gut allein zurechtkommst, Jillan. Ich habe mir gedacht…«
    » Natürlich, Ash. Wir sehen uns später. Geh zu den anderen ins Wirtshaus. Wenn du sie nicht überzeugen kannst zu fliehen, bevor der Heilige hierhergelangt, kannst du sie vielleicht wenigstens mit einem Lied unterhalten.«
    Der Waldläufer trat von einem Fuß auf den anderen und zögerte, aber Jillan stapfte weiter.
    » Ich bringe dir ein bisschen Brot und etwas zu trinken aus dem Wirtshaus mit«, rief der Waldläufer hoffnungsvoll.
    Jillan nickte, ohne sich umzusehen, und lauschte, wie Ash erst langsam in die Gegenrichtung ging und dann losrannte. Er konnte es ihm nicht verdenken. Er hätte selbst gern dasselbe getan, um in einem warmen Wirtshaus zu sitzen und ein schäumendes Bier und Gesellschaft zu haben. Als Kind hatte er immer davon geträumt, später so zu leben. Jetzt, als Erwachsener, erkannte er, dass es etwas war, das die Menschen nur taten, um ihren Alltag zu vergessen. Kurze Augenblicke des Glücks und lange Augenblicke des Vergessens, die zusammengenommen eine Art Zufriedenheit und eine Möglichkeit ergaben, mit dem Leben zurechtzukommen. Es war nicht das Schlechteste. Allerdings war es eine Schande, dass solch bescheidene Freuden nicht imstande waren, Seuchen, Armeen, den Sturz von Göttern und das Vergessen aufzuhalten. Und was für eine Schande! Aber er konnte den Leuten keinen Vorwurf machen. Die Straßen und die Welt außerhalb des Wirtshauses waren finstere, furchterregende, schreckliche Orte. Welcher vernünftige Mensch wollte schon

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