Das Wispern der Schatten - Roman
Dauerhaftigkeit und Ewigkeit zeugten; er hatte niedrige Eingangstüren und eine niedrige Decke, damit die Betenden den Kopf immer gesenkt halten mussten, und große, unverschlossene Fensteröffnungen, damit das Licht und die Elemente der Welt hineingelangen konnten. Er war eine Heimstatt für Höhere Wesen, denen Kälte, Wind und Regen nichts ausmachten, denn sie geboten schließlich über all diese Elemente. Er war ein Ort für diejenigen, die weder Ruhe noch Schlaf benötigten, da sie der Ewigkeit so nahe waren.
Azual hätte gern irgendwo anders gewohnt, aber das hätte dazu geführt, dass die Ausrichtung der Gemeinde auf den Tempel untergraben worden wäre, und das wiederum hätte ihre Unterwerfung unter den Willen der Erlöser und damit auch ihren Zusammenhalt bedroht. Chaos wäre ausgebrochen, und die Helden wären gezwungen gewesen, das Volk niederzumachen. Also war der Aufenthalt im Tempel nur ein Opfer unter vielen, das Azual in seiner Sorge um dieses anstrengende Vieh bringen musste. Wenn die Leute erst ihren Zweck voll und ganz erfüllt hatten und er beinahe göttliche Macht erlangt hatte, würde er sie ausrotten, um ihnen alles heimzuzahlen, was er hatte erdulden müssen, jede Demütigung, jede Erniedrigung, jede Kränkung.
Aber zunächst einmal musste er sich mit den Schwierigkeiten befassen, die seine Aufmerksamkeit erforderten. Ein heranwachsender Junge also? Hmm. Die Magie, die er aus ihm trinken konnte, würde doch sicher alles übersteigen, was er bisher gekostet hatte? War es möglich, dass die Macht, die er benötigte, um seine Umwandlung zu vollenden, endlich in greifbarer Nähe lag? Der Junge musste um jeden Preis ihm gehören! Sabbernd vor Vorfreude und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wirklich aufgeregt, schritt Azual vom Tempel hinüber zum Hauptmann seiner Leibwache aus fünfzig Helden und erteilte eilig seine Befehle: » Lasst mehrere Männer die Phiolen abholen und damit nach Hyvans Kreuz reiten. Ihr und die anderen werdet aufsitzen und so schnell wie möglich nach Gottesgabe reiten. Ich werde euch vorauseilen.«
» Ja, Heiliger«, erwiderte der Hauptmann, neigte respektvoll den Kopf und ging daran, die Befehle an seine Untergebenen weiterzuleiten.
Der Prediger von Erlöserparadies wagte es, dem Heiligen mit einer tiefen Verneigung den Weg zu verstellen. » Heiliger, das Mädchen…«
Natürlich, das Mädchen. » Ist tot.«
Der Prediger riss entsetzt die Augen auf. » Ich verstehe, Heiliger. Ich werde die Eltern unterrichten und dafür sorgen, dass ihre Trauer heute Abend nicht das Fest zu Ehren Eures Besuchs in unserer Gemeinde überschattet. Soll ich den übrigen Kindern mitteilen, dass sie morgen zu den Erlösern gezogen werden?«
Wie hieß dieser Narr doch gleich? Azual war so abgelenkt, dass er sich nicht daran erinnern konnte, und er machte sich nicht die Mühe, es aus der Form der Gedanken ringsum abzulesen. Prediger Baxal, nicht wahr? Oder war das derjenige gewesen, der vor ein paar Jahren gestorben war? Er beschloss, einen Erlass zu verkünden, nach dem alle Prediger von nun an denselben Namen tragen würden. » Ich reise unverzüglich ab. Die anderen müssen warten. Aus dem Weg.«
» Aber…«
Der heilige Azual richtete den ganzen Zorn seines brennenden Auges auf den albernen Priester und presste ihm mittels der Verbindung, in der sie standen, den Verstand zusammen. Mit einem Aufschrei stolperte der zurückweichende Prediger über seine eigenen Füße und stürzte schwer.
Azual schenkte ihm keinerlei Beachtung, sondern lief zielstrebig aufs Stadttor zu. Menschen wichen ihm hastig aus oder warfen sich vor ihm zu Boden. Er schritt wenn nötig achtlos über sie hinweg. Sein Schicksal erwartete ihn, und er eilte darauf zu, wie ein Wolf einem Hirsch nachsetzt.
Sein Blut brodelte, und seine Muskeln zuckten, als die Magie, die er gerade erst getrunken hatte, danach verlangte, losgelassen zu werden. Er lockerte seine langen Gliedmaßen und begann, immer schneller über den Boden hinwegzusausen. Bald flog er die Straße nach Gottesgabe entlang. Die Jagd konnte beginnen!
Im Rückblick betrachtet schien es ihm fast, als hätten die Götter sich gegen ihn verschworen, um zu bewirken, dass er von seinem eigenen Volk verbannt wurde. Was für ein Dasein und was für ein Lebenszweck blieben einem noch, wenn sowohl Götter als auch Sterbliche sich von einem abwandten? Er wusste es nicht und war sich auch nicht sicher, ob er es herausfinden wollte. Vielleicht hätte er besser daran
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