Das Wispern der Schatten - Roman
Schlammanbeter verabscheute! Gewiss, sie hatten ihm einige seiner größten Glücksmomente beschert, als er sie in so großer Zahl niedergemetzelt hatte, nachdem er damals in den Süden gekommen war. Er dachte jetzt daran zurück, während er seine leere, juckende Augenhöhle durch seine Augenklappe hindurch mit den Fingerknöcheln massierte. Aber dann hatten sie sich in alle Winde zerstreut und sich in den finstersten und abgelegensten Gebieten dieser Welt versteckt, so wie Insekten sich verkriechen und davonhuschen, wenn der Stein, unter dem sie gelauert haben, hochgehoben wird und sie dem Licht ausgesetzt sind.
Also musste Azual sich gedulden und darauf warten, dass die letzten von ihnen sich aus ihren Schlupfwinkeln hervorwagten und sich unter irgendeinem neuen Stein sammelten, wo man sie alle auf einmal treffen konnte. Und so würde er warten, sich geduldig der Generationen des Volkes annehmen und das Wachstum des Reichs verfolgen, während er mit seinem einen, alles sehenden Auge beständig aufmerksam danach Ausschau hielt, dass die Schlammanbeter sich verrieten.
Und es konnte kein Zweifel bestehen, dass sie sich verraten würden. Genauso unweigerlich, wie er stärker wurde und das Reich wuchs, würden die verzweifelten Heiden gezwungen sein, sich hervorzuwagen. Er konnte es geradezu an Gestalt und Muster der Dinge ablesen. Die Heiden waren seit Anbeginn des Reichs in ständigem Niedergang begriffen. Doch darüber hinaus– und das war die köstliche Ironie an alledem!– waren Verderbtheit, Tod und Verfall ein wesentlicher Teil der Natur der Heiden. Die Schlammanbeter konnten niemals hoffen, länger durchzuhalten als die ewigen und geduldigen Erlöser. Die Heiden konnten nur an und in sich selbst scheitern. Wenn sie das nur so hätten einsehen können wie er, hätten sie sich wahrscheinlich ergeben und allen viel Kummer, Mühe und vergeudete Energie erspart.
Doch wenn sie sich zu bereitwillig ergaben, würde es gar kein Vergnügen machen, sie zu jagen und zu peinigen, wenn sie sich aus der Deckung wagten. In vielerlei Hinsicht steigerte das Warten nur die Vorfreude und den Hunger, und das hieß, dass die Tötung– wenn sie dann endlich erfolgte– nur umso süßer sein würde.
Und so würde er abwarten und sich geduldig um das lästige Volk kümmern, so wie ein Kuhhirt gelegentlich im selben Verschlag wie sein Vieh schläft oder ein Schäfer unter einem Baum, um seiner Herde nahe zu sein. Er würde noch jahrhundertelang so warten, wenn es nötig war, doch er spürte, dass die Veränderung aller Dinge weitaus früher eintreten würde. Er würde das Volk weiterhin von seinen gefährlichen, chaotischen Energien reinigen, und welche Rolle spielte es schon, ob er dabei ein paar– oder mehr als nur ein paar– Leute tötete? Es war vollkommen gleichgültig. Auf lange Sicht war es vielleicht sogar gnädiger, auch wenn das unverständige Volk das zumeist nicht begriff.
Er sah das im Todeskampf verkrümmte Mädchen noch einmal an und seufzte gereizt. Er hätte ihr wahrscheinlich die Gliedmaßen ausstrecken und die Augenlider schließen sollen, dann würden die Leute, die draußen warteten, weniger Aufhebens machen, und er würde wiederum weniger Kopfschmerzen bekommen. Das Volk von Erlöserparadies war aufmüpfiger als das von Hyvans Kreuz, weil es nicht tagtäglich im Schatten seines heimatlichen Tempels oder unter dem wachsamen Blick seiner persönlichen Elitetruppe von Helden lebte. Infolgedessen hatten die Leute hier eine übertriebene Einschätzung ihrer eigenen Bedeutung und des Werts ihres Lebens entwickelt. Vielleicht würden ein paar weitere Tode wie der des Mädchens ihnen diese lächerliche Anmaßung austreiben. Vielleicht hätte er es der Stadt verbieten sollen, allmonatlich einen Markt abzuhalten, um die Leute daran zu hindern, sich für wichtiger als die übrigen Gemeinden zu halten.
Er zügelte sich, als ihm bewusst wurde, dass er die charakteristische schlechte Laune durchmachte, die unweigerlich dem Hochgefühl folgte, das sich beim Trinken der Magie derjenigen einstellte, die volljährig wurden. Vor einigen Jahrzehnten hatte er aus einem solchen Groll heraus eine der Gemeinden beinahe vollständig ausgelöscht. Wie hatte der Ort noch geheißen? Ach ja, Neu-Heiligtum. Gewiss, er konnte mit dem Volk schalten und walten, wie es ihm beliebte, aber er hatte sich selbst dafür gezürnt, dass er seinem Ärger nachgegeben hatte, denn er hatte einen Gutteil seines eigenen besten Zuchtviehs
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