Das Wispern der Schatten - Roman
ihn vielleicht aufzuessen, um ihm eine ironische Lektion zu erteilen, aber er wusste, dass der Rest seines Körpers in dem Fall allzu bald protestiert hätte. Sein Körper sollte verflucht sein– er war eine ständige Prüfung für ihn. Wenn sein Körper nicht gewesen wäre, wäre sein Dasein viel einfacher gewesen, aber sogar die Götter mussten sich körperlich manifestieren, um überhaupt in dieser Welt zu existieren. Verdammt, die grundlegende Natur dieser Welt war eben materiell. So war es nun mal, und dem hatte er sich schon im Mutterleib gefügt, worüber beklagte er sich also?
Welchen Grund hatte er zur Klage? Welchen Grund?Torpeth sollte verflucht dafür sein, dass er ihn in die Verbannung geschickt hatte und ihn so zwang, nach einem höheren Lebenszweck zu suchen. Warum hatte der furzende alte Einsiedler ihn nicht einfach in Frieden lassen können, sodass er bis ans Ende seiner Tage der klügste und schnellste Krieger im Dorf geblieben wäre? Warum hatte er nicht zulassen können, dass er sich mit Leesha zusammentat und– so die Götter wollten– mehrere Kinder zeugte, die sich um ihn kümmern würden, wenn er ein alter Mann war und sich mit einem schäumenden Humpen Winterbier am prasselnden Feuer begnügte?
Aspin seufzte. Er wusste, dass er sein Leben nicht damit verbringen konnte, sich vor den Anderen zu verstecken, und dass sein Volk nicht für immer in Sicherheit bleiben konnte. Früher oder später würden die Anderen kommen, und dann würde alles vorbei sein. Vielleicht hatte Torpeth vorhergesehen, dass die Anderen noch zu Aspins Lebzeiten erscheinen würden, und hatte Aspin deshalb ausgeschickt, um so viel herauszufinden, wie er nur konnte, damit sein Volk vorbereitet sein würde. Aber was konnte er denn wohl in Erfahrung bringen, das sie vor der Macht eines ganzen Reichs retten würde? Die einzige Hoffnung bestand darin, dass Aspin die gefallenen Götter finden und sie irgendwie wiederauferstehen lassen würde, damit sie von Neuem für das Geas kämpften.
Der Gedanke schien von nirgendwoher zu kommen, aber er erschien Aspin richtig. Doch wo waren die Götter zu finden? Die Anderen mussten es wissen, da sie die Götter überhaupt erst gestürzt hatten. Also lief es doch darauf hinaus, mehr über die Anderen herauszufinden.
Deshalb konnte er nicht zu lange in diesem Hain bleiben, so friedlich er auch war. Wenn er hierblieb, dann würde er vielleicht nie mehr fortgehen, das wusste er. Außerdem würde es zwischen den Reichen bald kaum noch Zuflucht geben, da sie nicht mehr im Gleichgewicht waren: Eines erstarkte, während das andere schwächer wurde. Es sah so aus, als ob beide Reiche bald zusammenfallen würden, sodass sich am Ende das Reich und die Herrschaft der Anderen durchsetzen würden, während Reich und Macht des Geas endgültig gebrochen wären.
Aspin nickte. Er spürte, wie sich eine neue Last der Verantwortung auf seine Schultern senkte, und durchquerte den Hain, bevor die Bäume noch weitere Offenbarungen auf ihn loslassen konnten, Offenbarungen, die eine wahrscheinliche Zukunft betrafen und zweifellos so schrecklich waren, dass sie ihn vollkommen entmutigen würden. Plötzlich verängstigt, beschleunigte er seine Schritte, bis der Eibenhain hinter ihm in der Ferne verschwunden war. Vielleicht würde er nie mehr in der Lage sein, diesen Ort wiederzufinden.
Als er die Vorberge endgültig verließ, stellte er fest, dass er leichter vorankam, als er erwartet hatte. In den tiefer gelegenen Landstrichen war bisher noch kein Schnee gefallen, und ihm wurde in seinen mehreren Schichten Ziegenfellkleidung sogar zu warm. Zudem gab es reichlich zu essen: von Pilzen über Nüsse, Vögel und Fische in Bächen bis hin zu ein oder zwei Kaninchen.
Dann entdeckte er einen sehr, sehr breiten Pfad aus flachen Steinen. Er erstreckte sich vor ihm und hinter ihm jeweils bis an den Rand seines Gesichtsfelds. Wer hatte diesen Pfad angelegt, und wie lange hatte er dazu wohl gebraucht? Die Anderen mussten weit mächtiger sein, als er es sich je vorgestellt hatte. In der Annahme, dass der Pfad an einen wichtigen Ort führte– vielleicht gar an den Wohnsitz der Anderen?–, begann Aspin ihm zu folgen. Er kam schnell voran und erkannte, dass sich in seinem Herzen mit einem Mal Hoffnung regte.
Aspin pfiff im Wandern vor sich hin und hörte deshalb den Wagen nicht, der sich ihm von hinten näherte, bis eine Stimme laut rief: » He da! Bist du das, Jillan?«
Aspin fuhr vor Schreck heftig zusammen. Er
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