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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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darauf trat ein weiterer Mann ein. Der Neuankömmling betätigte den Lichtschalter, und Viktor legte unwillkürlich eine Hand vor die Augen.
    Â»Haben Sie keine Angst, Professor Vau«, sagte der Mann. »Ich habe nicht vor, Ihnen etwas anzutun. Ich möchte Sie lediglich bitten, mich an einen sicheren Ort zu begleiten, an dem wir uns in Ruhe unterhalten können.«
    Viktor blinzelte und ließ langsam die Arme sinken. »Ich weiß nicht, wer Sie sind und warum Sie hier sind, aber ich nehme an, Widerstand ist zwecklos.«
    Â»So ist es, Professor Vau.« Der Mann war gekleidet wie ein Stadtstreicher, schien aber der Anführer der Eindringlinge zu sein.
    Â»Würden Sie dann bitte das Zimmer verlassen, damit ich mich ankleiden kann?«, fragte Viktor resigniert.
    Â»Aber selbstverständlich.« Der Stadtstreicher schickte seine Männer aus dem Raum und schloss die Tür. Dann ging er zu dem einzigen Fenster. »Ich werde mich umdrehen, und Sie können sich in Ruhe anziehen«, sagte er.
    Viktor betrachtete ihn aus dem Augenwinkel, während er sich ankleidete. Der Fremde trug keine Waffe, zumindest nicht sichtbar, und schien auch keinerlei Sorge zu haben, von ihm angegriffen zu werden.
    Â»Ich bin fertig«, erklärte er schließlich.
    Â»Sehr schön.« Der Fremde fasste ihn beim Arm und dirigierte ihn in den Flur, wo er seinen Männern Anweisung gab, die Wohnung gründlich zu durchsuchen. Dann begleitete er Viktor die Treppe hinunter. Die Nachbarn hatten das Aufbrechen der Tür sicher gehört, aber keiner ließ sich blicken. In dieser Gegend war es besser, Augen und Ohren zu verschließen, wenn man keine Schwierigkeiten bekommen wollte.
    Viktor war klar, dass sein Wunsch in Erfüllung gegangen war und seine Flucht endlich ein Ende hatte.
    Er wusste nur nicht, ob er sich wirklich darüber freuen sollte.
    3.
    Vor der Tür stand ein schwarzer Van mit abgedunkelten Scheiben, neben dem zwei Männer warteten. Einer von ihnen öffnete die Hecktür und bedeutete Viktor, einzusteigen. An beiden Seitenwänden des Laderaums waren Sitzbänke befestigt, mit einem kleinen Tisch in der Mitte. Viktor wurde auf die eine Seite bugsiert, und einer der Männer hockte sich ihm gegenüber. Der andere schlug von außen die Tür zu. Wenige Sekunden später setzte sich das Fahrzeug in Bewegung.
    Sie verließen das Calvaniviertel und fuhren auf die äußere Ringstraße. Nach einigen Minuten verließen sie diese an der Abfahrt zum Königsquartier bereits wieder. Viktor hatte sich nur ein- oder zweimal in seinem Leben in dieser Gegend aufgehalten. Er wusste lediglich, dass sie nach dem Gewerkschaftsführer Harry »Hammer« König benannt war, der hier sein persönliches Reich errichtet hatte. Durch geschicktes Manövrieren am Immobilienmarkt und durch seine guten Beziehungen zur Regierung hatte er es verstanden, einen Großteil der Wohnblocks in den Besitz der Gewerkschaftsorganisation zu bringen, der er vorstand. Die einfachen Wohnungen wurden zu einem günstigen Kurs an die Gewerkschaftsmitglieder vermietet, die gehobenen Behausungen teilte König denjenigen zu, deren Wohlwollen er sich sichern oder die er belohnen wollte.
    Der Wagen hielt vor einer alten Villa, die zurückgesetzt von der Straße in einem Garten lag. Seine Begleiter eskortierten Viktor den Kiesweg zum Gebäude hoch, wo er bereits von zwei weiteren Männern erwartet wurde. Sie führten ihn in einen großen Wohnraum mit einem altmodischen Kamin und schweren, dunklen Polstermöbeln.
    Â»Bitte nehmen Sie Platz«, sagte einer der Männer. »Herr de Moulinsart wird sofort bei Ihnen sein. Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
    Viktor sank in einen der drei Ohrensessel und bat um einen schwarzen Kaffee. Der Mann verschwand und ließ ihn allein. Er legte den Kopf gegen eine der Kopfstützen und schloss die Augen. Wie spät mochte es sein? Seit dem Überfall konnte allenfalls eine halbe Stunde vergangen sein. Dann war es jetzt wahrscheinlich früher Morgen. Er hatte von Anfang an gewusst, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis sie ihn aufspürten. Dass es so schnell gehen würde, damit hatte er allerdings nicht gerechnet.
    Ein leises Räuspern ließ ihn die Augen aufschlagen. Vor ihm stand ein kleiner, schmaler Mann mit dünnen Lippen, hoher Stirn und leicht abstehenden Ohren. Er trug eine graue Strickjacke

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