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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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über einer blauen Cordhose und bequeme Hausschuhe. In der Hand hielt er eine Tasse Kaffee. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte Viktor, dass es sich um den vermeintlichen Stadtstreicher aus seiner Wohnung handelte.
    Â»Herzlich willkommen, Professor Vau«, sagte er und stellte die Tasse auf dem kleinen Tisch neben Viktors Sessel ab. »Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Armand de Moulinsart.«
    Der Mann setzte sich in den Sessel, der dem Viktors gegenüberstand. Dabei zog er sorgsam die Beine seiner Hose hoch, um Beulen in der Knieregion zu vermeiden.
    Â»Sie müssen das etwas stürmische Vorgehen meiner Leute in Ihrer Wohnung entschuldigen«, fuhr de Moulinsart fort. »Manchmal können meine Männer etwas ungeschickt sein. Es ist einfach schwierig, heutzutage noch wohlerzogenes Personal zu finden, selbst in unserer Branche.«
    Â»Und welche Branche wäre das?«, fragte Viktor.
    Â»Der Schutz des Staates«, erwiderte de Moulinsart und fasste sich in gespielter Naivität an den Kopf. »Wie dumm von mir! Ich bin der Direktor des Internationalen Erkenntnisdienstes, eines der beiden großen Sicherheitsdienste unserer Nation.«
    Viktor nahm einen Schluck von seinem Kaffee. »Und warum greifen Sie zu diesen Wegelagerermethoden, um einen Menschen zu verschleppen?«
    De Moulinsart lächelte. »Aber mein lieber Professor Vau, es sind doch nicht wir, die diese Methoden gewählt haben, sondern Sie.«
    Â»Ich? Ich bin nur ein Wissenschaftler, wie Sie sicher wissen.«
    Â»Das weiß ich durchaus. Aber ein Wissenschaftler, der etwas entwendet hat, was nicht ihm, sondern dem Staat gehört.«
    Â»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen«, beharrte Viktor.
    Â»Kommen Sie, Professor, machen Sie es uns beiden doch nicht so schwer. Ich meine die Botschaft, die Sie in Agua Caliente haben mitgehen lassen.«
    Â»Ich wüsste nicht, dass die Raumkapsel oder ihre Inhalte mit einer Eigentumsurkunde versehen gewesen wären.«
    De Moulinsart zog die Lippen hoch und ließ kurz seine Zähne sehen. Eine unwillkürliche Geste, die viel über den Mann verriet. Viktor hatte sich eine Weile mit der Erforschung von Tics beschäftigt und gelernt, dass das, was so oft wie ein zufälliges Nervenzucken erschien, durchaus einen tieferen Sinn besitzen konnte. In diesem Fall zeigte de Moulinsart ihm seine Zähne, eine unterschwellige Warnung eines Raubtiers an sein Opfer.
    Â»Professor Vau, Sie scheinen Ihre Lage noch nicht zu begreifen. Im Augenblick weiß außer mir niemand, wo Sie sich aufhalten. Sie befinden sich also in meiner Gewalt. Ich habe nicht vor, das auszunutzen. Wenn Sie mir allerdings keine Wahl lassen, werde ich meinen Vorsatz brechen müssen. Meine Männer haben in Ihrer Wohnung nichts gefunden. Das bedeutet, dass Sie die Botschaft bei sich tragen, sofern Sie sie nicht anderswo versteckt haben. Also?«
    Viktor ließ sich von dem scheinbar zivilisierten Ton seines Gegenübers nicht täuschen. Der Mann würde seine Interessen ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzen, davon war er überzeugt. Er griff in seine Jackentasche und zog das Taschentuch mit dem Kristall hervor.
    De Moulinsart wickelte den Kristall aus und betrachtete ihn.
    Â»Bemerkenswert, dass so ein kleiner Gegenstand einen solchen Aufruhr verursachen kann«, murmelte er. Er ließ den Stein wieder in dem Tuch verschwinden und steckte ihn in seine Hosentasche. Dann beugte er sich zu Viktor vor.
    Â»Professor Vau, es wird vielleicht Wochen oder Monate dauern, bis unsere Wissenschaftler diese Botschaft entschlüsseln können. Ich habe kein Problem damit, Sie solange hier festzuhalten. Aber Sie können sich und mir das ersparen, indem Sie mir sagen, was es mit der Nachricht auf sich hat.«
    Viktor führte die Kaffeetasse zum Mund, um etwas Zeit zu gewinnen. Was ergab es für einen Sinn, noch länger zu schweigen? Sein Kidnapper hatte recht: Über kurz oder lang würde das Video entschlüsselt werden. Und spätestens dann musste er sowieso Auskunft geben. Vielleicht war es besser, jetzt zu kooperieren und deutlich zu machen, dass das Ganze nur ein schrecklicher Irrtum sein konnte.
    Er atmete einmal tief durch. »Die Botschaft des Videos lautet, mich zu töten.«
    Â»Wie bitte?«
    Â»Sie haben schon richtig gehört«, seufzte Viktor. »Aber ich kann es gern noch einmal wiederholen. Die Botschaft lautet: Tötet Viktor

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