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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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Schlüssel zu seinem Büro gegeben hatte. Was genau sie darin machte, interessierte sie nicht.
    Viktors Tätigkeit ließ seine ärztlichen Kollegen und das sonstige Personal sowieso kalt. Er war ein Außenseiter, dem von der Klinikgesellschaft die Nutzung der Station gestattet worden war, weil er gut dafür bezahlte. Ob seine Versuche erfolgreich waren oder nicht, war ihnen egal. Solange er das Personal nicht zusätzlich belastete, was nicht der Fall war, konnte er in seinem Bereich schalten und walten, wie er wollte.
    Der Akte zufolge war Christian Sonntag fünf Jahre zuvor in die Station eingeliefert worden. Als Diagnose waren akute schizophrene Schübe eingetragen. In einer handschriftlichen Protokollnotiz hatte Viktor die ersten Sitzungen mit ihm zusammengefasst.

    Â»Christian Sonntag arbeitet seit zehn Jahren in einem Bistro in der Innenstadt. Er ist geschieden und hat eine Tochter, die er seit acht Jahren nicht mehr gesehen hat. Sein genereller Gesundheitszustand ist als gut einzustufen.
    Sonntag erklärte, dass er seit einiger Zeit das Gefühl hat, beobachtet zu werden. Er hat zwar keine bestimmte Person ausfindig gemacht, ist aber überzeugt davon, dass er unter ständiger Überwachung steht. Auf meine Frage, wer ihn denn beobachte, erwiderte er, seiner Meinung nach handele es sich um Agenten der Dynastie, die der Überzeugung seien, er habe während seiner Tätigkeit im Bistro die Gespräche wichtiger Persönlichkeiten belauscht und sei nun im Besitz von brisanten Informationen, die er jederzeit an eine feindliche Macht verkaufen könne.
    Meine Frage, ob er denn über solche Informationen verfüge, bejahte er. Näheres dazu wollte er mir jedoch nicht sagen, da er ja sonst Geheimnisverrat begehen und sich damit der Rache der Leute aussetzen würde, die ihn beschatteten.
    Ich habe ihn zunächst auf Olanzapin gesetzt, in der Hoffnung, damit seinen Verfolgungswahn unterbinden zu können. Der Patient ist mir persönlich bekannt, da ich seit vielen Jahren in besagtem Bistro zu frühstücken pflege, und er ist mir in der ganzen Zeit nie besonders aufgefallen.«
    Astarte überflog die folgenden Seiten, die eine detaillierte Auflistung der medikamentösen Behandlung Christians enthielten und die rapide Verschlechterung seines Zustands dokumentierten. Dann kam ein Passus, der sie stutzen ließ.
    Â»Nachdem alle bekannten Therapien versagt haben, habe ich mich entschlossen, den Patienten mit dem von mir entwickelten Medikament zu behandeln. Parallel dazu werde ich ihn mit ausgewählten Katlan-Texten therapieren. Meiner Ansicht nach stellt dies einen vielversprechenden Ansatz dar. Ich greife damit zwar der experimentellen Erprobung des Pharmazeutikums vor, halte das aber bei der Schwere des Falls für angemessen. Vielleicht bin ich in dieser Sache auch voreingenommen, weil mir der Patient bekannt ist und ich mich von persönlichen Motiven leiten lasse. Da sich der Zustand des Patienten weiterhin verschlechtert und alle bekannten konservativen Therapien versagt haben, glaube ich, dass ein radikaleres Vorgehen gerechtfertigt ist. Ich bin überzeugt, dass es sich um ein beherrschbares Risiko handelt.«
    Christian Sonntag war also Viktor Vaus Patient Null gewesen. Das erklärte natürlich das Interesse des Wissenschaftlers an dem Kellner. Astarte blätterte zum Ende der Akte vor. Das vorletzte Dokument war ein Eintrag Viktors, der ein Jahr zurücklag.

    Â»Obwohl Sonntag bereits vor drei Jahren aus meiner Behandlung entlassen wurde, zeigen sich immer noch gewisse Symptome, die sich direkt auf die damalige Therapie zurückführen lassen. Eine Wiederkehr des Verfolgungswahns hat es nicht gegeben. Wie zu erwarten, zeigt er eine gewisse Neigung zu autistischem Verhalten, das ihn aber in seiner beruflichen Tätigkeit nicht zu beeinflussen scheint. Was mich eher beunruhigt, sind seltsame Stimmungsschwankungen, die ich mir derzeit nicht erklären kann. Vielleicht geben die Ergebnisse meiner geplanten Experimente darüber Aufschluss. Wenn nicht und falls diese Stimmungswechsel anhalten, werde ich ihn wohl noch einmal in die Klinik zu einer stationären Beobachtung bitten müssen.«
    Die letzte Seite schließlich bestand aus einer kurzen Notiz, die er erst vor wenigen Tagen gemacht hatte:

    Â»Habe Sonntag auf die mögliche Notwendigkeit eines erneuten Klinikaufenthalts angesprochen, aber er hat rundheraus abgelehnt. Er

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