Das Wörterbuch des Viktor Vau
Ministerialbeamter, und er hatte für mich ebenfalls eine Karriere in der höheren Verwaltung vorgesehen. Er hatte die richtigen Verbindungen, und ich wuchs in einem Umfeld auf, das mir alles bot, was ich mir nur wünschen konnte.
Beim Studium lernte ich dann meinen Mann kennen. Ich studierte Verwaltungswissenschaft« â sie warf Enrique einen vielsagenden Blick zu â »und mein zukünftiger Mann absolvierte eine Lehrerausbildung. Sein Vater war ein einfacher Vorarbeiter und hatte sich seine Ausbildung vom Munde abgespart, wie man so sagt. Dieser soziale Hintergrund passte meinen Eltern nicht. Sie hatten sich natürlich einen Partner für mich vorgestellt, der ebenfalls aus den Kreisen der Dynastie stammte, aber ich setzte mich über ihre Vorbehalte hinweg.
Auch der Vater meines Mannes hatte ihm von der Hochzeit abgeraten. Einerseits wäre ein solcher gesellschaftlicher Aufstieg zwar die Erfüllung aller seiner Wünsche gewesen. Andererseits war er ein politischer Mensch und seit jeher ein Gegner der Dynastie. Mit der Vorstellung, dass sein eigener Sohn jetzt in diese verhasste gesellschaftliche Gruppe aufsteigen sollte, wollte er sich einfach nicht anfreunden.
Und es kam, wie es kommen musste. Wenn die Eltern beider Ehepartner gegen eine solche Verbindung sind, bläst einem der Sturm von Anfang an ins Gesicht. Ich brach mein Studium ab und zog mit meinem Mann aufs Land, wo er eine Stelle an einer Schule in einer Provinzstadt angenommen hatte.
Ich pflegte nur noch wenig Kontakt zu meinen Eltern. Wir telefonierten nur dann miteinander, wenn einer von uns Geburtstag hatte. Zunächst fiel es mir schwer, mich an das Leben in der Provinz zu gewöhnen. Als Frau eines einfachen Lehrers genoss ich keine Privilegien mehr, und auch materiell war ich natürlich längst nicht mehr so gut gestellt wie vorher. AuÃerdem fehlten mir die gesellschaftlichen Ereignisse, die Partys, die Empfänge und die Bälle, die mir eine Menge bedeutet hatten. Ich war damals noch sehr stark ein Produkt meiner Herkunft. Aber das sollte sich bald ändern.
Ich war einsam. Ich wollte ein Kind haben, aber das funktionierte aus irgendeinem Grund nicht. Also suchte ich mir eine Anstellung, was sich als nicht einfach erwies. Man sollte meinen, mit meinem familiären Hintergrund und einem zumindest teilweise absolvierten Studium hätte man mich mit offenen Armen empfangen. Aber genau das Gegenteil war der Fall.
Ich lernte, was es bedeutete, ein Renegat zu sein. Durch die Aufgabe meiner Privilegien hatte ich meine Klasse verraten. Und das war eine Tat, die nicht wiedergutzumachen war. SchlieÃlich stellte mich ein chinesischer Einwanderer ein, der einen Nähmaschinenladen betrieb. Während er mit seinen beiden Söhnen hinten die Maschinen reparierte, bediente ich vorne im Geschäft und verkaufte Neugeräte.
Der Chinese war, wie viele Einwanderer aus dem asiatischen Raum, aufstiegsorientiert. Aber er merkte schnell, dass ihm das nicht so leichtfallen würde. Nachdem er mehrfach Ãrger mit den Behörden bekommen hatte, schloss er sich einer kleinen Gruppe von Immigranten an, die dieselben Probleme hatten wie er. Manchmal trafen sie sich hinten in der Werkstatt, und so kam mein erster Kontakt zur politischen Opposition zustande.«
»War dein Mann auch Teil dieser Gruppe?«, fragte Marek, der ihren Worten gebannt gelauscht hatte.
»Leider«, sagte sie. »Er war ein unpolitischer Mensch, trotz seines Vaters. Als Lehrer gehörte er zwar nicht zur herrschenden Klasse, hatte aber ein sicheres Einkommen und einen ordentlichen gesellschaftlichen Status. Ich brachte ihn dazu, sich mit der Situation derjenigen auseinanderzusetzen, die nicht so glücklich waren wie er und ich.«
»Warum dann leider?«, wollte Astarte wissen.
»Weil es Konsequenzen für seinen Beruf hatte. Wir waren zwar nicht viel mehr als ein Debattierklub, wurden aber trotzdem, ohne dass wir das wussten, von den Sicherheitsdiensten überwacht. Und eines Tages bekam er seine Kündigung wegen staatsfeindlicher Umtriebe. Einem solchen Mann könne man die verantwortungsvolle Aufgabe der Erziehung der nachwachsenden Staatsbürger nicht anvertrauen, hieà es.«
»Das eine hat doch mit dem anderen nichts zu tun«, sagte Enrique.
»Streng logisch gesehen, schon«, erwiderte Thura bitter. »Zumindest der Logik des Staates nach, die sich ausschlieÃlich auf das Gemeinwohl
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