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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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war.
    Trotz der Hitze band er sich eine Strickkrawatte um, die er ebenfalls seit Jahren nicht mehr getragen hatte. Dazu wählte er ein Paar leichte braune Halbschuhe. So ausgestattet kehrte er in die Empfangshalle zurück, wo Volante auf ihn wartete.
    Â»Jetzt begrüßen wir erst mal die Kollegen«, rief er und bugsierte Viktor zur Hotelbar. Volante trug noch immer den zerknautschten Anzug, in dem er Viktor am Flughafen abgeholt hatte. Es war ein billiges, schlecht sitzendes Modell, in dessen beigefarbenem Stoff offenbar eine Menge Kunstfaser verwebt worden war. Unter seinem geöffneten Hemd sah man den Ansatz einer dunkel behaarten Brust und eine schmale goldene Kette, die, wie Viktor wusste, ein kleines Medaillon trug, in dem sich ein Foto von Volantes verstorbener Frau verbarg.
    Die Hotelbar war im Kolonialstil eingerichtet, was Viktor etwas unpassend fand. Volante zog ihn zu einem Ecktisch, an dem bereits mehrere Gäste saßen.
    Â»Viktor!« Ein knochiger Mann in Poloshirt und Jeans erhob sich und streckte ihm die Hand hin. »So sieht man sich wieder, was?«
    Cornelius Brodhagen hatte ein Pferdegesicht mit großen, fleischigen Lippen und trug die Haare lang. Er war der Verfasser des Standardwerks Neue Semiotik und galt als der Großmeister der modernen Linguistik. Sein Urteil war in der akademischen Welt gottgleich: Mit einer negativen Bemerkung konnte er Karrieren beenden. Viktor hatte das am eigenen Leib erfahren dürfen.
    Â»Cornelius.« Er ergriff die ausgestreckte Hand und überlegte fieberhaft, welche Floskel in einer solchen Situation am geeignetsten war. Schließlich entschied er sich für »Sie sehen gut aus«, auch wenn er Brodhagens Äußeres immer als scheußlich und unproportioniert empfunden hatte.
    Â»Viktor Vau, Gentleman wie eh und je.« Brodhagen schüttelte seine Hand intensiv. »Und Sie? Wir sind schon ganz gespannt, welche Erkenntnisse Sie uns aus Ihrer Klausur mitbringen.«
    Â»Welche Klausur?« Viktor befreite sich aus Brodhagens Griff. »Sie wissen doch, dass ich nur noch privatisiere.«
    Â»Unser Freund Flavio hat uns etwas anderes erzählt. Aber das werden wir ja gleich von Ihnen erfahren. Kommen Sie, setzen Sie sich.«
    Brodhagen deutete auf den freien Stuhl an seiner Seite. Viktor schüttelte den drei anderen Anwesenden die Hände. Er kannte zwar die Namen, hatte aber noch keinen von ihnen zuvor persönlich getroffen.
    Â»Miller, Tremarchais und ihre Truppe fahren heute die Spätschicht«, erklärte Brodhagen, als alle wieder saßen. »Sie stoßen später zu uns.«
    Ein Kellner fragte Viktor und Volante nach ihren Getränkewünschen. Viktor bestellte ein Wasser.
    Brodhagen griff Viktor vertraulich an den Arm. »Kühles Wasser für einen kühlen Kopf. Sie haben sich nicht verändert, Viktor. Dann haben Sie sicher auch immer noch Ihr Wörterbuch dabei, was?«
    Viktor antwortete nicht. Brodhagen wandte sich an seine Kollegen. »Sie müssen wissen, dass Viktor Vaus Wörterbuch legendär ist. Es enthält die Grammatik und den Wortschatz einer Sprache, die außer Viktor niemand kennt, geschweige denn spricht.«
    Â»Eine neue Plansprache?«, fragte einer der drei.
    Â»Eine perfekte Sprache«, betonte Brodhagen und blickte Viktor herausfordernd an. »Kommen Sie, Viktor, zeigen Sie’s uns.«
    Â»Cornelius, bitte. Wir sind hier nicht im Varieté«, sprang Volante seinem Freund bei, der sich sichtlich unwohl fühlte.
    Â»Eine Plansprache?«, fragte einer der drei Viktor unbekannten Anwesenden. »Wer braucht so etwas heutzutage noch? Oder gibt es etwas Besonderes an Ihrer Entwicklung, Professor Vau?«
    Viktor hatte das Gespräch mit wachsendem Unbehagen verfolgt. Er wusste genau, worauf Brodhagen hinauswollte. Damals wie heute war sein Ziel, Viktor der Lächerlichkeit preiszugeben, natürlich immer unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Objektivität. Er gehörte zu jener Sorte Wissenschaftler, die außer der eigenen Meinung keine andere gelten ließen. Gerade die Semiotik und Linguistik, zwei Fachgebiete mit einem großen Spielraum für Spekulationen, boten Brodhagen ein optimales Betätigungsfeld. Was nicht bewiesen werden konnte, konnte auch nicht widerlegt werden.
    Dennoch hatten die anderen Anwesenden eine Antwort verdient, auch wenn er sich dadurch mit Sicherheit wieder Brodhagens beißendem Spott aussetzen

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