Das Wörterbuch des Viktor Vau

würde.
    Â»Plansprache ist für das, woran ich arbeite, nicht das passende Wort«, begann Viktor. »Es ging mir eher darum, noch einmal das Vorhaben einer vollkommenen Sprache in Angriff zu nehmen.«
    Â»An der schon große Geister wie Wilkins oder Leibniz gescheitert sind«, warf Brodhagen ein.
    Viktor nickte. »Das sind sie in der Tat. Aber nicht, weil es unmöglich wäre, eine vollkommene Sprache zu entwickeln – das ist zumindest meine Meinung –, sondern weil sie zu ihrer Zeit nicht über die erforderlichen technischen Voraussetzungen für die Realisierung verfügten.«
    Â»Einen Augenblick bitte«, unterbrach ihn ein anderer der drei Zuhörer, ein schmaler Mann mit sorgfältig gegeltem schwarzem Haar. »Wären Sie so freundlich, uns zu erklären, was Sie unter einer vollkommenen Sprache verstehen?«
    Â»Eine vollkommene Sprache ist eine Sprache, welche die Realität in allen ihren Facetten exakt abbildet. Bevor man sich an ihre Entwicklung macht, muss man sich zunächst mit der Struktur und Ordnung der Wirklichkeit befassen. Eine Plansprache hingegen ist nichts anderes als ein in sich schlüssiges Bezeichnungssystem für die Dinge, das eine solche Kategorisierung der Welt nicht benötigt.«
    Â»Ein fraglos hehres Ziel«, pflichtete Brodhagen ihm bei. »Aber letztendlich ein hoffnungsloses Unterfangen, denn wer kann unsere heutige Welt schon in toto erfassen?«
    Â»An diesem Punkt haben sich unsere Geister schon immer geschieden, Cornelius«, sagte Viktor. »Weil Sie a priori von der Unmöglichkeit einer Klassifikation der Wirklichkeit überzeugt sind, haben Sie sich nie der Mühe unterzogen, die Grundlagen meines Systems näher zu prüfen.«
    Â»Oh, ich habe es geprüft, mein Lieber«, widersprach Brodhagen. »Und ich bin zu dem eindeutigen Schluss gelangt, dass es einem strengen wissenschaftlichen Anspruch nicht genügt. Ich habe Sie damals sogar auf die inhärenten Widersprüche Ihres Systems hingewiesen.«
    Â»Die Widersprüche, die Sie aufgedeckt zu haben glaubten, waren Widersprüche in der Realität«, konterte Viktor. »Und eine Sprache, die eine widersprüchliche Realität exakt abbilden will, muss notwendigerweise auch diese Widersprüche beinhalten.«
    Â»Aber die Natur ist nicht widersprüchlich«, lächelte sein Gegenüber triumphierend. »Es ist lediglich das Unvermögen von uns Menschen, was sie so erscheinen lässt. Wenn wir erst einmal die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten der Natur wirklich verstanden haben, werden sich alle diese Widersprüche als ein Artefakt unserer mangelnden Erkenntnis herausstellen.«
    Â»Auf welcher Grundlage haben Sie Ihre Klassifikation denn entwickelt?«, fragte der Gegelte.
    Â»Ich habe es zunächst mit einem Bifurkationsmodell versucht, also so, wie es auch schon in der Vergangenheit gemacht worden ist. Aber das hat sich schnell als untauglich herausgestellt.«
    Â»Können Sie ein Beispiel dafür nennen?«
    Â»Nun, man kann eine solche Klassifikation der Welt zum Beispiel beginnen, indem man zunächst zwischen belebter und unbelebter Materie unterscheidet. Das ist die erste Weggabelung. Aber dann wird es auch schon schwierig, weil die folgenden Weggabelungen alle willkürlich sind und keiner natürlichen Ordnung entsprechen. So können Sie beispielsweise bei der belebten Materie unterscheiden zwischen Pflanzen und Tieren, so wie früher im Biologieunterricht. Sie können aber auch die Gabelung vernunftbegabte und nicht vernunftbegabte Lebewesen konstruieren. Oder DNS -basiert gegen RNS -basiert. Schon diese wenigen Beispiele zeigen, wie unterschiedlich man vorgehen kann. Und so ist es auch immer gewesen. Jeder, der sich an einer vollkommenen Sprache versucht hat, hat diese auf einer anderen Grundlage entwickelt.«
    Â»Genau das habe ich doch gesagt«, warf Brodhagen ein. »Willkür ist das Gegenteil von Wissenschaft. Daran krankt auch Ihr Modell, Viktor. Wenn Sie es doch endlich einsehen würden.«
    Â»Sie irren sich, Cornelius.« Viktor warf Volante, der sich aus dem Streitgespräch heraushielt, einen ungeduldigen Blick zu. »Aus genau diesen Gründen habe ich mich gegen das Bifurkationsmodell und für eine fraktale Herangehensweise entschieden.«
    Brodhagen verdrehte die Augen. »Es ist egal, welche Methode Sie wählen. Die Wirklichkeit ist zu komplex, um