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Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
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Eintreffen der Rebellen geflohen. Vorher hatten sie noch die Eingänge zu den Minen gesprengt. Die Wachmannschaften hatten ein Blutbad unter der Bevölkerung angerichtet, als die Männer sich weigerten, gegen die Rebellen zu kämpfen, und waren dann ebenfalls getürmt. Vor ihrem Rückzug hatten sie noch ein paar Tellerminen vergraben, und eine davon hatte genau auf dem Weg gelegen, den Jonathans Kolonne entlangkam.
    Seinen Vordermann erwischte es. Jonathan vernahm nur einen dumpfen Knall, und als er wieder die Augen öffnete, lag er unter blutigen Leichenteilen und hatte furchtbare Schmerzen in seinem rechten Bein. Als er es näher untersuchen wollte, sah er, dass es nur noch bis zum Knie reichte. Der Unterschenkel war komplett abgerissen, und einer seiner Kameraden war gerade dabei, den Stumpen abzubinden, um den Blutfluss zu stoppen.
    Jonathan wurde erneut bewusstlos und kam erst wieder in einem Hospitalbett zu sich. Die Klinik wurde von Missionaren betrieben, und es war ein ungeschriebenes Gesetz unter allen Kombattanten der Gegend, sie nicht anzugreifen. Die Ärzte retteten Jonathans Leben, verpassten ihm einen künstlichen Unterschenkel mit Fuß und päppelten ihn wieder auf.
    Von Jonathans Familie lebte niemand mehr. Die Missionare boten ihm an, in ihrem Internat zu bleiben und die Schule zu besuchen, und er willigte ein. Seine Erfahrungen hatten ihn gelehrt, dass wahre Macht mit wirtschaftlichem Erfolg verbunden war. Und dafür musste man lesen und schreiben können.
    Bereits während seiner Schulzeit begann Jonathan, die Grundlage für sein späteres Imperium zu legen. Er stahl Medikamente aus dem Krankenhaus und verkaufte sie an den Meistbietenden. Auch verschwanden immer wieder technische Gerätschaften aus der Klinik und der Missionsschule. Nur Jonathan wusste, wo sie geblieben waren.
    Nach dem Abschluss der Schule hatte er sich bereits ein für seine Verhältnisse kleines Vermögen verdient. Er mietete sich ein Büro in Tambo und begann, sein Netzwerk für größere Geschäfte zu nutzen. Schnell war bekannt, dass es nichts gab, was Sir Jonathan nicht beschaffen konnte.
    Doch mit dem Erfolg kamen die Feinde. Jonathan legte sich eine Leibwache zu und ließ seine Verbindungen spielen. So mancher seiner Widersacher verschwand spurlos oder tauchte als Leiche an irgendeinem Dorfrand auf. Das verschaffte ihm nicht nur Respekt, sondern auch neue Geschäftsmöglichkeiten, vor allem nach Ausbruch des Bürgerkrieges. Beide Seiten nutzten seine Dienste, um sich Waffen und schweres Gerät zu verschaffen, und Jonathan lieferte prompt und zuverlässig. Und als Banda nach dem Waffenstillstand den Arizona Market legalisierte, hatte Jonathan endlich sein Reich gefunden.
    Während er seine Gäste zu einem nach allen Seiten offenen Zeltdach auf der anderen Straßenseite führte, unter dem eine Handvoll Holztische mit Bänken standen, fragte er sich, ob das Auftauchen von Leslie wirklich nur ein Zufall war. Er wusste, dass sie für Geld arbeitete. Hatte sie jemand angeheuert, um ihn aus dem Weg zu schaffen? Feinde hatte er immer noch, obwohl sie sich heutzutage nicht mehr öffentlich als solche zu erkennen gaben.
    Sobald die anwesenden Gäste Jonathan erblickten, erhoben sie sich und räumten ihre Plätze. Er winkte seine Besucher an einen Tisch. Kaum hatte er selbst sich auf der Bank niedergelassen, als auch schon der Betreiber des Standes herbeieilte.
    Â»Sir Jonathan!«, rief er und verneigte sich mehrfach. »Welche Ehre! Was darf ich Ihnen bringen?«
    Â»Einen Imbiss und etwas zu trinken«, erwiderte Jonathan. »Das Übliche.«
    Der Wirt zog sich unter weiteren Verbeugungen zurück. Wenige Minuten darauf kehrte er mit mehreren Gehilfen zurück. Sie stellten Schalen mit gebratenen Bananen, frittierten Zwiebeln in einem Teig aus schwarzen Bohnen, panierten Okraschoten, Süßkartoffeln, Maiskolben und in Bananenblättern gedämpften Bohnen auf den Tisch. Dazu servierten sie große Gläser mit gesüßtem Tamarindensaft.
    Â»Esst, Freunde!«, rief Jonathan und bediente sich gleich selbst. Dabei beobachtete er aus dem Augenwinkel den Professor, den ihm sein Verwandter geschickt hatte. Hilflos blickte der Mann auf dem Tisch herum. Jonathan sah ihm an, wie hungrig er war. Wahrscheinlich hielt er nach Messern oder Löffeln Ausschau.
    Â»Man nimmt sich die Sachen einfach mit der Hand, Professor«, sagte

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