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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Treppenöffnung.
    » Hier sollte er sicher sei n «, sagte Wisperwind. » Ich bin seit drei Tagen in diesen Türmen, und mir ist nirgends ein lebendes Wesen begegnet. «
    Nugua trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Ihre Sorge um Feiqing wuchs mit jedem Atemzug, aber Niccolo hier allein zu lassen … » Und was ist, wen n deine Vermutungen nicht stimmen? Wenn Mondkind irgendwann doch hier auftaucht? «
    » Du musst dich entscheiden. «
    Sie lief zu ihm, beugte sich hinunter, zögerte noch einen Moment – dann gab sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. Sie hatte niemals zuvor jemanden geküsst. Es schmeckte salzig auf ihren Lippen, aber weder öffnete sich der Himmel unter Donnergetöse, noch wurde sie vom Schlag getroffen. Es war einfach eine Berührung. Nur eine Berührung.
    Ja, red dir das nur ein. Sogar Yaozi würde dich auslachen.
    Noch bevor sie sich aufrichten konnte, sauste Wisperwind heran, legte ihren Arm von hinten um Nuguas Brust und zerrte sie mit sich in den Abgrund.
    * * *
    Nugua erlebte den Flug zum Ufer wie einen Traum, der sich bereits unwirklich anfühlte, noch während sie ihn träumte. Wisperwind trug sie von einem Turm zum nächsten, dann über die offene Lava. Sie flog nicht wirklich, sondern bewegte sich in einer Kette federleichter Sprünge von Felsen zu Felsen.
    Sie gelangten nicht auf gerader Linie ans Ufer, sondern in wildem Zickzack, von einem lavaumspülten Eiland zum nächsten. Die kleinen Buckel und Zacken waren weit über den Lavasee verstreut. Nugua verlor darüber fast das Bewusstsein. Immer wieder stürzten sie am Ende eines Sprungs der Lava entgegen, und jedes Mal war sie sicher, Wisperwind würde den nächsten Felsen nicht erreichen. Die Landungen waren schmerzhaft, und ihren linken Arm spürte Nugua bald gar nicht mehr. Und doch zogen si e s ich keine Verbrennungen zu; nicht einmal der dumme Strohhut ging in Flammen auf.
    Abermals kamen sie stolpernd auf festem Untergrund auf. Nugua konnte kaum die Augen öffnen, so ausgetrocknet waren sie von der aufsteigenden Hitze. Als sie endlich klar sehen konnte, erkannte sie, dass sie am Ziel waren. Beinahe, jede n falls. Die kürzeste Distanz vom letzten Felsen bis zum Ufer hatte sie nicht an dieselbe Stelle geführt, an der sie Feiqing zurückgelassen hatten. Sie befanden sich ein gutes Stück weiter nördlich.
    » Keine Zeit zum Ausruhen! « Wisperwind riss beide Schwerter vom Rücken. » Du wirst das letzte Stück laufen müssen. Ich hab keine Hand mehr frei. « Und damit stieß sie sich von den Felsen ab, schoss in einem flachen Bogen aufwärts und verschwand hinter der nächsten Steinkuppe.
    Nugua rappelte sich hoch und versuchte, ihren Arm zu benu t zen. Er fühlte sich an, als wäre er eingeschlafen – nur hundertmal schlimmer. Sie biss die Zähne zusammen und stolperte los, die Felsen hinauf, über den Gipfel hinweg und auf losem Geröll wieder nach unten. Hinter der nächsten Kuppe hörte sie Rufe und Geschrei. Längst hatte sie jedes Gefühl für die Tageszeiten verloren. So nah an der Lava gab es kein Tag und Nacht, nur glutgesättigtes Rot, umwabert von diffuser, aschfarbener Dunkelheit.
    Unterhalb der nächsten Erhebung wurde sie langsamer, ließ sich auf den Bauch nieder und robbte zum höchsten Punkt hinauf. Dort stemmte sie ihren Oberkörper nach oben und spähte vorsichtig auf die andere Seite.
    Unter ihr lag das Plateau, von dem aus sie aufgebrochen waren. Die Kuppe, auf der Nugua lag, war Teil eine s H albkre i ses aus Felshöckern, der die Schieferfläche nach Osten hin umfasste. Im Westen brach der Boden scharf ab, jenseits davon lag die flirrende Lava.
    Ein Gewimmel aus Kämpfern empfing sie mit Waffengeklirr und wilden Schreien. Mindestens dreißig Mandschu, eher noch mehr. Wisperwind und Li tobten inmitten des Pulks, teilten Hiebe in alle Richtungen aus, parierten mehrere Angriffe gleichzeitig, hatten aber Mühe, dem Massenansturm ihrer Feinde standzuhalten.
    Feiqing war nirgends zu sehen – das war der erste Schreck, der Nugua in die Glieder fuhr.
    Den zweiten jagten ihr die beiden Gestalten ein, die weiter südlich auf den Felsen standen, hoch über dem Plateau wie Nugua selbst. Noch hatten sie sie nicht bemerkt.
    Das mussten die Schamanen der Mandschu sein. Irgendwie war es ihnen gelungen, ihrer Spur zu folgen und die Strecke auf dieselbe unbegreifliche Weise zu verkürzen, wie Li dies getan hatte.
    Auf den ersten Blick war nichts Menschliches an ihnen. Der Schamane, der Nugua am nächsten stand

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