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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Strömung wollte ihn mit sich reißen, doch Wisperwind hielt ihn unvermindert fest. Er sagte kein Wort, gab nicht den leisesten Mucks von sich, um sie nur ja nicht zu stören.
    Sie schafften es tatsächlich bis zum ersten Quader.
    Leider nicht daran hinauf.
    » Festhalten! «, brüllte Wisperwind, als sie ihn losließ und er mit voller Wucht gegen die Seitenwand des Felsklotzes krachte. Er hatte das Gefühl, der Quader sei auf ihn gestürzt, so weh tat der Aufprall im ersten Moment. Dann aber klammerte er sich geistesgegenwärtig am erstbesten Halt fest. Seine Finger krallten sich um Stränge der Kletterpflanzen, seine Füße verhakten sich in verwobenen Schlingen. Er schlug mit der Wange gegen einen verdrehten Stamm, biss sich auf die Zunge und stieß einen unartikulierten Schmerzenslaut aus.
    Ein Stück weit über ihm bekam auch Wisperwind Teile des Pflanzengewirrs zu fassen. Sie kletterte bereits aufwärts, während er noch immer wie ein Insekt im Spinnennetz der Ranken hing. Er kämpfte mit aller Macht gegen seine Panik an, als sein Blick nach unten fiel, auf di e s chäumende Strömung, die wie eine Klinge aus Wasser am Fuß des Quaders entlangschnitt.
    Klettern also. Darin hatte er Erfahrung, auch wenn er sich in seiner misslichen Lage erst wieder daran erinnern musste. Er hatte die Wolkengiganten rund um das Tal oft genug erklo m men, auch wenn es einfachere Wege hinauf gegeben hatte. Klettern machte ihm Spaß. Verflucht nochmal, das hier sollte nun wirklich ein Kinderspiel sein!
    » Besser, du beeilst dich! «, rief Wisperwind von oben.
    » Warum? «, presste er zwischen den Zähnen hervor, während er sich langsam aufwärts schob. » Du hast gesagt, die Raunen kommen nicht übers Wasser. «
    » Tun sie auch nicht. « Sie zog sich über die Kante auf die Oberfläche des Felsblocks, rollte herum und blickte wieder zu ihm in die Tiefe. » Aber diese Kletterpflanzen sind ihre entfer n ten Verwandten. Und wie es aussieht, haben wir sie gerade aufgeweckt! «
    Niccolos Herzschlag setzte aus, als ihm bewusst wurde, dass die Ranken nicht hin und her schwangen, weil er daran en t langkletterte. Sie regten sich von ganz allein. Überall um ihn herum!
    Er fluchte, als der Pflanzenvorhang unter ihm Wellen schlug und mehrere Gewächstentakel nach ihm tasteten. Noch krochen sie langsam herbei, fädelten sich mühsam zwischen anderen, unbelebten Strängen hindurch, bildeten Schlingen und Knoten und behinderten sich gegenseitig. Aber er konnte zusehen, wie sie wacher und reger wurden. Zielstrebiger. Die Raunenschreie am Ufer schraubten sich zu einem triumphierenden Heulen empor, als die Kreaturen erkannten, dass die Ranken aus ihrem Schlaf erwachten.
    » Schneller! «, rief Wisperwind ihm von oben zu.
    Er verwünschte den Augenblick, an dem er sich bereit erklärt hatte, seinen Hof in den Wolken zu verlassen. Dort oben war alles so einfach gewesen. Hier unten aber war gar nichts einfach und schon gar niemand ungefährlich.
    Wisperwind lag bäuchlings oben auf dem Quader und beugte sich so weit wie möglich vor. Sie hatte die Hand in Niccolos Richtung ausgestreckt, aber noch waren mindestens fünf Meter zwischen ihnen.
    Unter ihm erwachte die gesamte Rankenwand zum Leben.
    Während seine Hände und Füße verzweifelt nach Halt suchten, begannen sich immer weitere Teile des Pflanzennetzes zu schütteln und aufzulösen. Stränge entknoteten sich und wurden zu zuckenden Armen, schoben sich hinter ihm her, tasteten nach seinen Waden. Immer wieder konnte er sich ihnen entziehen und dabei weiterklettern, aber es war nur eine Frage der Zeit, ehe eine ihn zu packen bekäme.
    Noch drei Meter bis zu Wisperwinds Hand. Aber auch dort zuckten bereits die ersten Ranken umher, wollten sich um ihren Arm schlingen und sie in den Abgrund reißen.
    Die Oberfläche des Flusses lag mehr als fünfzig Meter unter ihm. Ein Sturz würde ihn aller Wahrscheinlichkeit nach töten. Er fragte sich, was wohl die Ranken mit ihm anstellen würden, wenn sie ihn erst einmal fest umklammerten.
    Er erhielt eine Antwort, als ihm aus dem verworrenen Gewebe ein menschlicher Schädel entgegenglotzte. Knorrige Stränge hatten sich durch die Öffnungen des Kno chengesichts gesch o ben und zurrten es fest an die Felswand des Quaders.
    Er zuckte zurück und schrie panisch auf.
    » Du hast es gleich geschafft! «, rief Wisperwind – und zog sich hinter die Kante zurück.
    » Wo willst du denn hin? «
    » Bin schon wieder da. « Jetzt lag eines der beiden Schwerter in

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