Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
Sekunde zur anderen an Höhe und klatschten der Länge lang ins Wasser.
» Großer Leonardo! «, rief Niccolo aus, als er spuckend und keuchend das Gesicht aus den Wellen hob und sein Möglichstes tat, nicht von der Strömung fortgerissen zu werden. » Was war das denn? «
Wisperwind, die vielleicht wirklich nicht mehr wog als eine Feder, hatte größere Mühe als er, gegen die Wassermassen anzukämpfen. Sie mochte fliegen können, aber Schwimmen war offenbar keine ihrer Stärken. Die Wogen des wilden Flusses drohten sie fortzureißen. Während die Raunen am Ufer triu m phierend schrien – hohe, ohrenbetäubende Laute, die sich in beide Richtungen am Strom entlang fortsetzten –, sprang Niccolo Wisperwind hinterher. Bekam sie zu fassen. Und plötzlich war er es, der sie festhielt und retten musste.
Ein schönes Paar geben wir ab, durchzuckte es ihn, während er mit der freien Hand und den Beinen gegen die Strömung anpaddelte, reichlich unbeholfen, aber irgendwie kräftig genug, um sie beide über Wasser zu halten.
Wenig später hatten sie wieder festen Grund unter den Füßen, während die Raunen vergeblich nach ihnen schnappten und grapschten. Keine Armlänge vor Niccolos Gesicht fächerten Klauen aus Dornenzweigen auseinander und schlossen sich wieder, ein ums andere Mal, als würden sie ihn irgendwann schon zu packen bekommen, wenn sie es nur oft genug versuc h ten.
Sie sind dumm, dachte er. Vielleicht sind sie wirklich Pfla n zen.
» Was ist geschehen? «, fragte er Wisperwind, die nach ihren Schwertern tastete und erleichtert feststellte, dass beide noch in den Rückenscheiden steckten. Nur ihre Lanze war am Ufer zurückgeblieben.
» Keine Konzentration «, erwiderte sie. » Du hast mich abg e lenkt. «
»Ich?«
» Siehst du hier noch jemanden, der unablässig redet? «
Beleidigt verstummte er.
» Danke «, sagte sie mürrisch, ohne ihn anzusehen. » Für das gerade eben, im Wasser. «
Er winkte ab. » Was jetzt? «
» Weiter. Wir haben es fast bis zur Brücke geschafft. «
Sein Blick folgte der wogenden Masse aus Raunenleibern am Ufer. Erstaunt stellte er fest, dass Wisperwind und er die Landzunge, die er von weitem gesehen hatte, fast umrundet hatten. Und nun erkannte er auch, was sie meinte.
Nur dass es keine Brücke war.
Eher wohl die Trümmer von etwas, das einmal Ähnlichkeit mit einer gehabt hatte. Vor ungefähr zehntausend Jahren.
Es handelte sich um gewaltige Steinblöcke, die als unregelm ä ßige Kette von einem Ufer zum anderen führten. Titanische Quader, jeder fünfzig oder sechzig Meter hoch, die Seiten bedeckt von Kletterpflanzen. Einige waren halb zerfallen und ähnelten natürlichen Felsformationen, bucklig und schief. Andere bildeten perfekte Rechtecke. Wind und Wetter hatten ihre Ecken rund geschliffen, und doch gab es keinen Zweifel daran, dass sie künstlich geschaffen waren. Ihre Oberflächen wirkten aus der Ferne glatt, aber das konnte nur eine Täuschung des Dämmerlichts sein. Es musste sich um Mauerwerk handeln. Niemand vermochte solche Quader am Stück aus dem Fels zu meißeln und hierher zu bewegen.
Zwischen den Steingiganten lagen Abstände von fünfzig, manchmal hundert Metern. Unter einer Brücke stellte sich Niccolo beileibe etwas anderes vor.
» Da willst du rüber? «
» Sicher. «
» Warum fliegen wir nicht? «
» Weil wir es beide nicht überleben, wenn so was wie gerade eben in der Mitte des Flusses passiert! Ein kurzes Stück, ja. Aber nicht bis ans andere Ufer. «
Die Strömung draußen im Fluss war in der Tat mörderisch. Mehr noch, wenn man, wie eine gewisse fliegende Schwer t kämpferin, nicht schwimmen konnte.
Wisperwind musste ihm ansehen, was er dachte.
» Ich könnte allein fliegen «, sagte sie scharf. » Niemand würde mich ablenken. «
» Schon gut. « Er hob abwehrend beide Hände.
Zwischen ihrem Standort und dem ersten Quader erstreckte sich an die hundert Schritt strudelnde, fauchende Wasserobe r fläche. Da Schwimmen nicht in Frage kam – für sie beide nicht, wie Niccolo sich eingestehen musste –, blieb ihnen nur Wispe r winds Federflug.
Die Kriegerin packte ihn abermals unterm Arm und zerrte ihn aus dem Wasser. Nass wie sie waren, mit voll gesogener Kleidung und triefendem Haar, wogen sie beide mehr als zuvor, aber Wisperwind presste die Lippen aufeinander, spannte ihren ganzen Körper an – und flog. Wieder hatte sie das linke Bein angewinkelt, das rechte nach hinten gestreckt.
Niccolos Füße streiften die Wogen. Die
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