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Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert

Titel: Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ihrer Hand. Niccolo war bereits in Reichweite der Klinge, als der blitzende Stahl vorstieß, über ihn hinwegzuckte und mit einem schmatzenden Hieb eine Ranke hinter seinem Rücken zerfetzte. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm, dass da noch weitere Tentakel waren, die sich unter ihm von der Wand gelöst hatten und wie Schlangen hinter ihm in der Luft pendelten, bereit, jede Sekunde zuzustoßen.
    Er wurde noch schneller – aber auch unvorsichtiger. Sein Fuß trat ins Leere, er verlor seinen Halt und sackte einen halben Meter nach unten. Sogleich zog sich etwas um sein Bein zusammen, so fest, dass er erneut aufschrie.
    » Niccolo – fang auf! «
    Das Schwert fiel in seine Richtung und hätte ihn beinahe aufgespießt. In einer Drehung bekam er es zu fassen und hackte damit blindwütig unter sich. Im Nachhinein dachte er, dass er Glück gehabt hatte, sich nicht das eigene Bein abzuschlagen. Der Druck auf seinen Unterschenkel ließ nach, als die Klinge die Ranke durchtrennte.
    Über ihm zog Wisperwind das zweite Schwert und schlug abermals in die Tiefe. Mit gezielten Hieben und Stößen hielt sie die Ranken von sich fern und versuchte zugleich, auch Niccolo vor weiteren Tentakeln zu bewahren. Er kletterte jetzt wieder aufwärts, inmitten des im mer aufgeregter bebenden Netzwerks. Rund um ihn lösten sich weitere Stränge von der Wand und krochen auf ihn zu. Das Geschrei der Raunen schmerzte in seinen Ohren.
    Endlich bekam er Wisperwinds Hand zu fassen. Mit einem kräftigen Ruck zerrte sie ihn nach oben. Dabei verlor er das Schwert aus der H and, doch sie schlug mit ihrem eigenen danach und prellte es in die Höhe, wo es sich als flirrendes Silberrad mehrfach drehte, ehe es auf die Kriegerin zufiel und elegant von ihr aufgefangen wurde.
    » Weg vom Rand «, rief sie Niccolo zu.
    Gemeinsam hetzten sie über die viereckige Oberseite des Felsquaders, während hinter der Kante eine Wand aus Tentakeln emporschoss. Aber keine der peitschenden Ranken war lang genug, um sie in der Mitte der weiten Fläche zu erreichen.
    Enttäuschtes Raunengeheul wehte vom Ufer herüber.
    Atemlos ließ Niccolo sich auf den Boden fallen. Wisperwind lief ein paar Schritte weiter und sah hinüber zur Oberfläche des nächsten Felsblocks. Insgesamt mussten es wohl neun oder zehn Quader sein, die in einer langen Reihe zwischen den beiden Flussufern im Wasser lagen.
    Niccolo japste. » Das müssen … wir nicht … bei jedem davon … machen, oder? «
    Sie schüttelte den Kopf. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie noch immer den verdammten Hut trug. Nach all dem saß das breite Strohding auf ihrem schwarzen Haar wie angeklebt. » Mit ein wenig Glück trägt uns der Federflug von einem Fels zum nächsten. «
    » Ein Hoch auf die Konzentration! «, stöhnte er.
    » Der Weg des Tao – «, begann sie, brach aber ab, als si e s ah dass Niccolo sich vorbeugte und lautstark übergab.
    » Schlechtes Essen oder die Anstrengung? «, fragte sie schei n heilig.
    Er wischte sich den Mund mit dem Ärmel ab und richtete sich unsicher auf. Im Westen, in der Richtung, aus der sie gekommen waren, lag ein glühender Rand aus Sonnenlicht um die Ber g flanken. Die höchsten Gipfel waren nicht zu sehen, denn dort hing die Wolkeninsel und wurde von unten blutrot angestrahlt. Niccolo fragte sich, ob Wisperwind etwas ahnte, vermutete aber, dass sie wohl nichts über das Geheimnis der Hohen Lüfte wusste.
    Und dennoch hatte sie ihn gerettet.
    Drachenaugen, hatte sie gesagt.
    Er schüttelte unmerklich den Kopf und ließ seine Blicke weiter über die Landschaft schweifen. Der Fluss spiegelte den loder n den Abendhimmel und verwandelte sich in ein Band aus Feuer. Er verlief mitten durch das weite, dicht bewaldete Tal zwischen den schroffen Berghängen. Nach Osten hin, dort, wo es bereits dunkler war, wurden die Berge niedriger, das Gelände felsiger. Im Norden strömte der Fluss durch eine tiefe Bresche zwischen den Gipfeln, herab aus den schattigen Landen jenseits des Gebirges.
    » Dorthin solltest du gehen «, riet ihm Wisperwind, die seinem Blick gefolgt war. » Dort leben Menschen. Raunen meiden die größeren Ansiedlungen. Und so wie es aussieht, haben sich die meisten aus der Umgebung hier im Tal versammelt. «
    Die Tentakelwände rund um den Quader waren wieder in sich zusammengesunken, nachdem die Pflanzen erkannt hatten, dass sich die beiden Menschen außerhal b i hrer Reichweite befanden. Offenbar besaßen sie nicht genug Verstand, um vorauszusehen, dass Niccolo und

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