Das Wolkenvolk 01 - Seide und Schwert
Bauerntö l pel. Die beiden Schwerter bewegten sich unabhängig voneinander, eins in diese, eins in jene Richtung, und kein Atemzug verging, in dem nicht ein weiterer Raun in einer Explosion aus Laub zerplatzte. Wisperwinds Bewegungen erzeugten einen Strudel inmitten dieser Blätterwirbel, kreisende Spiralen aus Rot und Gelb und Braun, die sich um sie und ihre Gegner emporschraubten und Niccolos Sicht auf das unwirkl i che Kampfgeschehen verhüllten.
» Du sollst laufen, verdammt! «, ertönte es aus dem Zentrum dieses Sturms, und endlich erwachte Niccolo aus seiner Starre.
Fluchend stapfte er vorwärts, der Strömung entgegen, immer nach festem Untergrund tastend. Er hielt sich parallel zum Ufer, etwa drei Meter von den grauen Hänge n a us losem Geröll entfernt. Das Kreischen der Raunen folgte ihm, trieb ihn voran, auch wenn ihm schon nach zwanzig Schritten die Luft ausging. Mehrere Raunen hatten sich aus dem Kampf mit Wisperwind gelöst und folgten ihm auf dem Trockenen, schneller als er, mit fuchtelnden Wurzelarmen und aufgerissen Mäulern. Im Dä m merlicht waren kaum Einzelheiten an ihnen auszumachen, sie verwischten vor seinen Augen wie das Unterholz, an dem er und die Kriegerin stundenlang vorübergelaufen waren. Die verwi n kelten Glieder, die Borkenfratzen und kleinen schwarzen Augen – das alles wurde eins, eine schreiende, knirschende Masse, unter die jetzt von hinten ein blitzendes Klingengewitter fegte. Wisperwind hatte aufgeholt und brach mit ihren Schwertern durch die Reihe der Raunen wie durch eine Hecke. Wieder schossen Fontänen aus Laubfetzen in alle Richtungen, wieder drohte das wütende Gebrüll der Kreaturen Niccolos Ohren zu betäuben.
Er warf sich herum und lief weiter, Schritt um Schritt gegen die Strömung.
Etwas fauchte von hinten heran wie ein Windstoß. Er fühlte sich unter der rechten Achsel gepackt und aus den Wellen gehoben, als wöge er selbst nicht mehr als ein Bündel Zweige.
» Nicht zappeln! «, rief Wisperwind an seiner Schläfe, während sie mit ihm über die Wasseroberfläche raste. Nicht hinaus auf den Fluss, sondern weiter parallel zum Land, wo immer mehr Raunen aus dem Unterholz brachen, eben selbst noch ein Teil davon, dann eine Armee aus kreischenden, fauchenden Bestien, die den ganzen Uferstreifen ausfüllte. Sie waren jetzt überall, so weit Nic colo sehen konnte. Alles wimmelte von ihnen, eine dunkle Masse, die sich bis an den Fluss drängte, aber sorgsam darauf bedacht war, nur ja keine Wurzelkralle hineinzusetzen.
Wisperwinds Füße berührten immer wieder federleicht das Wasser, als müsse sie sich dann und wann davon abstoßen also doch kein Flug, sondern ein Laufen auf Luft und auf Wasser. Niccolo drohte immer wieder die Orientierung zu verlieren, weil ihm der Kontakt zum Boden fehlte. Es war ganz anders als auf dem Luftschlitten: Er hatte die Funktion der Maschine nicht begreifen müssen, um zu glauben, dass es eine Erklärung für ihre Flugkraft gab. Das hier aber, Wisperwinds Fähigkeit, sich ohne jede Hilfe vom Boden zu lösen, war etwas anderes.
Wieder wurde ihm schmerzlich bewusst, dass er ohne sie längst tot wäre. Er hatte Verantwortung für das Volk der Hohen Lüfte übernommen – und doch bislang nichts anderes getan, als davonzulaufen. Sogar von der Wolkeninsel war er geflohen, wenn er ganz ehrlich zu sich war.
Es war an der Zeit, dass er etwas tat. Dass er – und zwar zu allererst sich selbst – bewies, dass er in der Lage war, lebend aus dieser ganzen Geschichte herauszukommen.
» Gib mir ein Schwert «, rief er Wisperwind zu. » Ich will käm p fen. «
» Du? «, stieß sie lachend aus.
Das verletzte ihn, sogar in dieser Lage. » Du kennst mich gar nicht. Du weißt nicht, ob ich kämpfen kann. «
Sie schlug einen abrupten Haken, raste jetzt nicht mehr an der Mauer aus greifenden, tastenden, schlagenden Raunenarmen entlang, sondern geradewegs darauf zu.
» Du willst kämpfen? «
» Ich – «
» Ich will nicht kämpfen «, unterbrach sie ihn und bog hastig wieder ab, haarscharf bevor sie in die Reichweite der Dorne n krallen geraten konnten. » Es sind zu viele. Das ganze Tal ist voll von ihnen. Und es kommen immer noch mehr, aus allen Richtungen. Warum willst du sterben, wenn du ihnen auswe i chen kannst? «
Er kam sich dumm vor, und die Tatsache, dass sie ihn wie eine Stoffpuppe am Arm trug, stärkte nicht gerade sein Selbstb e wusstsein.
Sie lachte erneut, aber es ging in ein Röcheln über – dann verloren sie von einer
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