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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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erheben.
    Mondkind hing noch immer mit dem Bauch nach unten auf dem Rücken des Vogels, aber jetzt hob sie den Kopf, ihr Gesicht eine schmerzerfüllte Grimasse.
    » Niccolo? « Ihre Stimme klang brüchig.
    Er eilte zu ihr, schlitterte vor ihr im Sand auf die Knie und ergriff ihre Hand.
    » Dein Versprechen! «, keuchte Guo Lao. Der Xian stand vornübergebeugt da wie nach großer körperlicher Anstrengung. Schweiß glänzte auf seinem kahlen Schädel, rann an seinen Unterarmen hinab und tropfte von seinen Fingern.
    Das Ultimatum des Xian lief ab. Niccolo begriff, dass er nicht mehr Zeit herausschlagen konnte. Er musste sich zu den Worten zwingen, die er Mondkind ins Ohr flüsterte. » Guo Lao glaubt, dass du weißt, was aus Li geworden ist. «
    Ihr Blick flackerte. Aber immerhin war wieder Leben in ihr, ein ganz schwacher Hauch. » Ich … weiß nicht. «
    » Was sagt sie? « Der Xian kam langsam näher. Er schien kaum genug Kraft aufzubringen, um seine Füße bei jedem Schritt aus dem Sand zu befreien.
    » Sie weiß es nicht. «
    » Sie lügt! «
    Niccolo schloss seine Hand noch fester um Mondkinds Finger. Das Leid in ihrer Miene floss auf ihn über, hüllte ihn ganz und gar ein. Ihre Lippen zitterten. In ihren Mundwinkeln hatten sich Blutkrusten gebildet, die jetzt zu dunklen Schüppchen zerfi e len. » Ist … verschwunde n «, raunte sie tonlos.
    » Sie hat keine Ahnung, wo er steckt! «, fauchte Niccolo den Xian an, der jetzt nur noch einen Schritt entfernt war.
    Guo Lao stand da wie ein schwankender Turm, ungeheuer groß und stämmig und doch mit einem Mal auf seltsame Weise verletzlich. Er hatte mehr Kraft auf die sterbende Mondkind übertragen, als für ihn selbst gut war . Dafür verlangte er mehr als ein gehauchtes Leugnen.
    » Wo ist Li? «, fuhr er das Mädchen an.
    » Das solltest … du selbst wisse n «, gab sie zur Antwort . » Ich habe ihn nicht getötet. Nicht einmal … mit ihm - « Sie brach ab.
    » Du hörst doch, was sie sagt! « Niccolo spürte, wie kalt ihre Hand war. Er wagte nicht, sie loszulassen. Konnte es auch gar nicht. Denn in diesem Augenblick tat sie etwas, das sich im einen Moment erschreckend, im nächsten schon vertraut anfühlte.
    Die Spitzen ihres Zeige- und ihres Mittelfingers schoben sich an seinem Handballen hinab, stießen vor wie zwei winzige Schlangenköpfe und legten sich fest auf seine Schlagader. Plötzlich hörte er seinen eigenen Herzschlag . Das erste Pochen hallte wie ein Paukenschlag in seinen Ohren und riss ihn aus seiner Verzweiflung. Es war, als wäre da etwas in ihm, das ihn wachrüttelte, sein eigene r P uls, der sich nun durch ihre Finge r spitzen auf sie übertrug. In seiner Brust machte sich etwas Fremdes breit, das nicht dorthin gehörte, schlängelte sich um sein Herz, presste es zusammen.
    Sein Chi reichte nicht aus, um sie zu heilen. Nicht einmal annähernd. Aber es gab ihr die Kraft, den Kopf hochzureißen, Guo Lao mit wild funkelnden Augen anzustarren und zu brüllen: » Ich habe deinen Bruder Li nicht getötet! Ich bin ihm nicht mehr begegnet, seit ich ihn am Ufer des Lavasees gesehen habe! Und jetzt, Xian, kehre zurück in deine Felsenhöhle, denn ich will nicht mehr gegen dich kämpfen. «
    Guo Lao starrte sie an, und für einen Moment wirkte er ta t sächlich überrascht. Dann schoss seine Pranke vor und wollte Niccolo von ihr fortreißen, um den Fluss des Chi zu unterbr e chen, das sie ihm abzapfte. Doch da fegte ein Sturm aus Seide über ihre Schultern hinweg auf den Xian zu, hüllte ihn ein, hob ihn in einer ungeheuerlichen Kraftanstrengung vom Boden und schleuderte ihn davon wie eine Puppe. Niccolo konnte den Kopf nicht schnell genug drehen, um dem Flug des Unsterblichen zu folgen. Aus dem Augenwinkel meinte er ihn hinter der nächsten Düne verschwinden zu sehen.
    Die Finger an seinem Herzen zogen sich zurück, im nächsten Augenblick auch die an seiner Schlagader. Jetzt ruhte ihre Hand wieder kraftlos in seiner, nicht mehr ganz so kalt wie zuvor und doch kaum noch von eigenem Leben erfüllt.
    Niccolo kämpfte gegen einen Sog aus Schwärze an, de r i hn hinüber in die Bewusstlosigkeit ziehen wollte. Aber er wusste auch, dass er sie dann verlieren würde, ganz gleich, ob er Stunden oder nur Minuten ohnmächtig wäre. Er musste sich zusammenreißen, stärker sein als jemals zuvor, für sich selbst, aber mehr noch für sie.
    Benommen sah er über die Schulter zu der Dünenkuppe, ohne dort ein Anzeichen des Xian zu entdecken . Schwankend kämpfte

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