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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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wird dir auch zeigen, wie du es zu benutzen hast. «
    » Aber es ist nicht mal mein Schwer t «, widersprach Niccolo. Zugleich erinnerte er sich, wie er die Klinge zum ersten Mal in der Hand gehalten hatte, damals am Ufer des Flusses, nachdem Wisperwind und er die Brücke der Riesen überquert hatten. Er hatte ein paar spielerische Schläge ins Leere vollführt, einfach nur zum Spaß – und selbst dabei hatte er gespürt, wie das Schwert seine Hand führte, so als hätte er jahrelang nichts anderes getan, als damit zu üben.
    Seltsam, dass er daran nicht vorher gedacht hatte. Er war so versunken in Selbstmitleid gewesen, so gebannt vom Gedanken an Mondkind und die Ausweglosigkei t i hrer Lage, dass er nicht einmal ernsthaft über die geheimnisvolle Waffe auf seinem Rücken nachgedacht hatte. Die Schmiede in den Lavatürmen hatten sie für die Götter erschaffen. Und nun trug er sie, ein gewöhnlicher Junge vom Volk der Hohen Lüfte.
    » Folge mir, Niccolo Spini. « Tieguai stand auf und gab seinem Kranich ein Zeichen, sich niederzulegen. » Es ist an der Zeit, dass du einiges lernst. «
    Er schob den Fächer zurück unter seinen Hanfgürtel, bückte sich noch einmal und hob den Zahn vom Boden auf. Er wollte ihn wieder an seinem Stirnband befestigen, als ihm ein anderer Gedanke kam. Mit großzügiger Geste reichte er ihn Niccolo.
    Der zierte sich, die Hand danach auszustrecken.
    » Nimm ih n «, befahl Tieguai mit sanfter, aber unmissverstän d licher Autorität.
    Niccolo pickte ihn mit spitzen Fingern von Tieguais zerfurc h ter Handfläche. Der Zahn war gelb und hatte zwei faule Stellen. Unsterblichkeit galt augenscheinlich nicht für jeden Teil des Körpers.
    » Was soll ich damit? «
    Der Xian gab keine Antwort und stakste auf dürren Beinen hinüber zu seinem Kranich.
    * * *
    Die Hütte des Unsterblichen lag am Ufer eines spiegelglatten, nahezu kreisrunden Bergsees. Das Gewässer nahm die Hälfte eines flachen Gipfelplateaus ein, umrahmt vo n e inem natürl i chen Wall aus Granit. Kletterte man auf diesen gewachsenen Zinnenkranz hinauf, bot sich einem eine spektakuläre Aussicht über die östlichen Ausläufer des Gebirges, hinab in die Weiten Sichuans. Die Wälder dort unten verschwammen in grüngrauem Dunst, und das lag nicht allein am heraufziehenden Abend. Der Kranich hatte sie noch einmal ein beträchtliches Stück höher g e tragen , und Niccolo kam es fast vor, als stünde er wieder am Rand der Wolkeninsel und blickte hinunter auf eine Welt, die so unerreichbar war wie der Mond und die Sterne.
    Doch von der Sehnsucht nach dem Erdboden, die ihn früher gequält hatte, war nicht viel geblieben. Das einzige Verlangen, das ihn jetzt noch beschäftigte, galt Mondkind. Jeder Gedanke an sie war wie ein feiner Schmerz . Obwohl es so viel anderes gab, das ihm Sorgen bereitete – Nuguas Schicksal, die Gefahr durch den Aether, der drohende Untergang der Wolkeninsel –, konnte er sich nicht gegen das wehren, was die Erinnerung an Mondkind in ihm anrichtete. Er begann sich damit abzufinden, dass er seinen Gefühlen hilflos ausgeliefert war, und niemals zweifelte er daran, dass es aufrichtige Empfindungen waren, weit mehr als nur ein Bann, den er seinem Chi in Mondkinds Körper zu verdanken hatte.
    Der Kranich setzte sie vor Tieguais Hütte ab. Sie war aus soliden Holzbalken errichtet, die der Xian mithilfe seines Vogels in die baumlosen Gipfelregionen gebracht haben musste. Auch das Dach war holzgedeckt und mit Pech abgedichtet. Ein Schornstein aus unregelmäßigen Steinbrocken erhob sich an der Rückseite, dort, wo sic h d ie Hütte gegen eine höhere Gestein s formation lehnte . Auf den Felsen thronte eine Krone aus Zweigen und Mooslappen – das Nest des Kranichs.
    Die Behausung des Unsterblichen besaß nur ein einziges Fenster, das auf den See hinausblickte. Der Zugang hatte keinen hölzernen Türflügel, sondern war durch mehrere Lagen aus Fellen und Häuten verschlossen, die rundum mit Lederbändern an eisernen Ösen festgezurrt wurden.
    Am Ufer des stillen Sees lag ein kleines Ruderboot, darin eine Angelrute.
    » Hier oben gibt es Fische? «, fragte Niccolo erstaunt, als Ti e guai ihn ans Wasser führte.
    Der Xian nickte. » Aber ich fange sie nur selten. Die Angel hilft mir beim Meditieren. Die meisten Tage verbringe ich draußen auf dem See und erforsche das Wesen der Berge. «
    » Oh … ja, natürlich. «
    Tieguai lachte. » Das wird dich kaum wundern, wenn es von jemandem kommt, der seine Zähne auf der

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