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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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erfasste, lagen die Worte schwer wie Blei auf seiner Zunge, selbst nachdem er sie ausgesprochen hatte.
    Mondkind blickte nur stumm auf das Schwert, das sich wie etwas Lebendiges gegen sein Gefängnis aus Fels stemmte.
    Niccolo ging zu ihr und umarmte sie. Sie schmiegte sich federleicht an ihn, so als wäre sie wieder ein wenig mehr zu einem Traum geworden und ein bisschen weniger Mädchen aus Fleisch und Blut.
    » Ich könnte dich niemals verletze n «, sagte er.
    Sie löste sich von ihm, eine Spur zu schnell. Er runzelte die Stirn und wollte wieder einen Schritt auf sie zu machen. Sie aber stieß ein leises Seufzen aus, flüsterte: » Es tut mir lei d «, und machte einen Wink in seine Richtung.
    » Was – «
    Ein Geschwader Seidenbänder sauste auf ihn zu, wickelte sich blitzschnell um seinen Körper und schnürte ihm Arme und Beine zusammen. Ehe er sich versah, fiel er schon, wurde aber weich von weiteren Bändern aufgefangen und sanft am Boden abgelegt.
    » Bitt e «, sagte sie, » m ach es nicht schwerer, als es schon ist. «
    Er sah sie an, nahezu unfähig, sich zu bewegen, aber erst recht nicht in der Lage zu begreifen, was sie da tat. Oder doch, er verstand es, aber er wollte es nicht wahrhaben.
    » Tu das nich t «, flehte er sie an. Hilfe suchend sah er sich um, aber sein Blick kreuzte nur den des Kranichs. Das Tier versteifte sich.
    Mondkind packte mit einem Seidenfangarm das Schwert und zog es in einer gleitenden Bewegung aus dem Boden . Einen Herzschlag lang zuckte es auf sie zu, dann akzeptierte es sie bereits als seine neue Herrin und machte von einer Sekunde zur nächsten keine weiteren Versuche mehr, sie anzugreifen. Die Waffen der Götterschmiede gehorchten stets dem, der sie trug, lasen nicht nur seine versteckten Empfindungen, sondern übernahmen auch seine Moral.
    Mondkind schwenkte das Schwert an dem Seidenband lan g sam hin und her, um ein Gefühl für die Klinge zu bekommen. Die Bewegungen hatten etwas Verspieltes und zugleich ung e mein Elegantes.
    » Ich will dein Schwert nicht stehle n «, sagte sie zu Niccolo.
    Er stemmte sich vergeblich gegen die Seidenfesseln, lag da wie eingesponnen.
    Mondkind ließ Silberdorn einmal im Kreis wirbeln und zog es zuletzt, schneller als das Auge erfassen konnte, auf sich zu. Mit der Spitze voran.
    » Nein! «, brüllte Niccolo – und schrie dem Kranich einen Befehl zu.
    Der Vogel raste wie ein Geschoss auf Mondkind zu. Mit einem Kreischen prallte er gegen sie.
    Zu spät.
    Noch im Sturz bohrte sich die Klinge tief in ihre Seite, ganz nah bei der Stelle, wo Tieguai sie verletzt hatte. Aus der Wunde schoss ein heller Blutschwall, besudelte ihre Gewänder, Silbe r dorns Götterstahl und den Kranich, der sofort aufsprang, sein Gefieder sträubte und sich schüttelte.
    Zitternd lag sie da, presste die Lippen fest aufeinander und unterdrückte einen Aufschrei. Nur ein Stöhnen war zu hören, als sie sich mühsam auf alle viere erhob. So kauerte sie da, mit rasselndem Atem, während Silberdorns Spitze aufwärts aus ihrer Seite ragte.
    Niccolo tobte gegen seine Fesseln an, brüllte und flehte, aber es half alles nichts. Er konnte nur tatenlos zusehen, wie das Blut aus der Wunde am Schwert hinabrann, die Verzierungen in der Kreuzstange mit Rot ausmalte und vom Knauf auf den Höhle n boden tropfte.
    Wieder und wieder rief er ihren Namen, halb wahnsinnig vor Angst um sie.
    Als er schon glaubte, sie würde einfach so sitzen bleiben und sterben, hob sie mit einem Ruck den Kopf und warf den Oberkörper zurück. Ihr langes schwarzes Haar folgte ihrem blassen Gesicht als Schweif nach hinten. Eine der Seidenbahnen wickelte sich um den Schwertgriff und riss ihn zurück. Silbe r dorn glitt aus der Wunde und fiel scheppernd auf den Fels. Seide schob sich von allen Seiten über die verletzte Stelle, Lage über Lage. Rot erblühte auf Weiß wie ein Blumenmeer im Winter.
    Zuletzt kämpfte sie sich auf die Beine. Es kostete sie al l i hre Kraft. Schwankend hielt sie sich aufrecht und schleppte sich zu ihrem Kranich.
    » Mondkind, warte! «
    Sie blickte über die Schulter zu ihm zurück und schenkte ihm ein verwirrendes Lächeln. » Vielleicht … ist es ja richtig s o «, flüsterte sie.
    Wortlos gab sie dem Kranich ein Zeichen. Das Tier spreizte die Schwingen und trug sie aus der Grotte ins Freie. Als sie durch die Höhlenöffnung flogen, wurden sie schlagartig vom Sonnenschein erfasst – für einen Augenblick sah es so aus, als gingen Vogel und Reiterin in Flammen

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