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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ausgebrannt war –, waberte hier unten ein vages, verwirrendes Grau. Es wurde intensiver, je tiefer sie kam, und es machte die Vorste l lung, wieder nach oben ins Dunkel zurückzukehren, nur noch beängstigender.
    Längst bestanden die Wände des Schachts nicht mehr aus Eisen. Die eigentliche Pumpe war hoch über Alessia zurüc k geblieben, eins geworden mit der Finsternis. Nur die Wendeltreppe führte weiter abwärts, in ihrer Mitte das stählerne Rohr, durch das bis vor wenigen Wochen der kostbare Aether in die Wolke geströmt war. Der Fühler, der von der Spitze der Pumpe in die Regionen jenseits des Himmels reichte, hatte den Aether zweihundertfünfzig Jahre lang von dort herabgesaugt und in die Wolkeninse l geleitet; dadurch hatten die Wolkenma s sen an Festigkeit gewonnen, ganz so wie es einst der Große Leonardo geplant hatte.
    So jedenfalls hatte man es Alessia und allen anderen Wolke n bewohnern beigebracht. Aber ob das die Wahrheit war? Die ganze Wahrheit? Das war eine der Fragen, die sich ihr während der vergangenen Tage gestellt hatten. Begonnen hatte es mit dem Verschwinden des Schattendeuters, bis dahin ein treuer Berater ihres Vaters, des Herzogs. In seinem Turm hatte sie Bauzeichnungen der Aetherpumpen entdeckt – Konstruktion s pläne, die angeblich seit einem Vierteljahrtausend in Vergessenheit geraten waren. Warum hatte Carpi sie vor allen anderen geheim gehalten? Oder hatte ihr Vater davon gewusst? Und wie stand es um die Pumpeninspekteure, von denen es stets ein wenig herablassend geheißen hatte, dass sie kaum mehr über die mysteriösen schwarzen Türme auf den Wolkenbergen wussten als jeder andere? Zumindest einer von ihnen, Sandro Mirandola, hatte einen geheimen Einstieg ins Innere der Pumpe gekannt. Er hatte sich auf den Schattendeuter eingelassen – und dafür mit seinem Leben bezahlt. Carpi hatte ihn umgebracht, während Alessia zusah. Wenig später hatte der Schattendeuter sie in der Pumpe eingeschlossen, allein mit dem Toten, der weiter oben wie eine zerschlagene Lumpenpuppe auf den Stufen der Wendeltreppe lag.
    Und nun – die Helligkeit in der Tiefe.
    Ein Rätsel kam zum anderen, jede Antwort brachte neue Fragen.
    Die Wände des Schachts bestanden aus erstarrter Wolkenma s se, und auch aus ihnen drang jetzt ein fahles Leuchten wie von Nebel, durch den schwacher Lichtschein fällt. Je tiefer Alessia kam, desto mehr verschob sich die Helligkeit von Grau zu Gelb. Sie erinnerte sich an die Geschichten, die sie in einigen der verbotenen Bücher gelesen hatte: die Abenteuer armer Schl u cker, die au f H öhlen voller Schätze stießen, auf Berge aus Gold und Edelsteinen. Und obwohl Alessia sicher war, dass sie am Fuß der Treppe von keinem sagenumwobenen Schatz erwartet wurde, nahm doch das Licht nach und nach eine immer golden e re Färbung an.
    Ein Luftzug fauchte ihr von unten entgegen und wehte ihren eigenen Geruch an ihre Nase. Die Leinenhosen und das fellb e setzte Wams trug sie jetzt seit fast sechs Tagen . In den Hohen Lüften war es selbst im Sommer selten heiß, dafür sorgten die scharfen Höhenwinde. Auch hier im Inneren der Wolke, wo nie die Sonne schien, war es kühl, und nicht mal im Traum hätte sie daran gedacht, zum Schlafen die Sachen auszuziehen. Nun, falls sie je wieder hier herausfand, würde das ihre geringste Sorge sein.
    Sie blieb kurz stehen, als das Ende der Treppe in Sicht kam. Vorsichtig beugte sie sich über den Rand und blinzelte ang e strengt in die Tiefe. Kein Zweifel, das Rohr im Kern der Wendeltreppe bog ein Stück weiter unten zur Seite ab, fast im rechten Winkel. Die Treppenkurven hörten dort auf; stattdessen führten ein paar gerade Stufen schräg von der Rohrbiegung fort und endeten auf ebenem Wolkenboden.
    Dort unten war tatsächlich so etwas wie eine Höhle. Ein Hohlraum im Inneren der Wolkeninsel. Und er war ganz und gar von goldgelbem Licht erfüllt, nicht flackernd wie von Flammen, sondern gleichmäßig. War es möglich, dass draußen gerade die Sonne auf- oder unterging? Und dass es da unten einen Ausgang gab, durch den das Tageslicht hereinschien?
    Jetzt wurde Alessia doch noch schneller. Sie hatte längst die Orientierung verloren, konnte nicht abschätzen, ob sie sich noch im Berg befand, auf dem die Pumpe stand, oder bereits darunter in der kilometerbreiten Basis der Wolkeninsel.
    Die Biegung des Aetherrohrs war jetzt direkt unter ihr . Noch eine Windung der Treppe, dann erreichte sie die Stufen, die vom Rohr abzweigten und hinab auf den

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