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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ihren Augen einen Streich.
    Eine Stimme ertönte.
    Jemand sprach zu ihr.
     

 
     
     
    DIE STIMME DES AETHERS
     
    » Ich weiß, was du bist. «
    Alessia fuhr zusammen. Sie hatte sich schon halb herumge - d reht, um davonzulaufen – ohne nachzudenken, erfüllt von nichts als schierer Panik –, als die Stimme sagte:
    » Bleib. «
    Es war ein Befehl, aber er wurde sanft ausgesprochen . Die Worte klangen seltsam wabernd, so als hallten die Vokale leise nach, während die harten Laute abrupt endeten. Dadurch überlagerten sich die Silben, verzerrten sich gegenseitig. Und doch war es kein Echo wie jenes, das es zwischen den Wolke n bergen gab. Als Kinder waren Alessia und ein paar von den anderen öfter dort hinaufgeklettert, hatten hinaus in die Leere gerufen und sich gefreut, wenn die Worte zu ihnen zurückschal l ten.
    Die Stimme im Licht war anders. Fremder und Furcht einfl ö ßender.
    » Wer bist du? «, fragte Alessia. Sie selbst klang wie immer, vielleicht ein wenig trocken und heiser vor Angst, aber ohne jeden Hall.
    » Ins Lich t « , sagte die Stimme. » Komm ins Licht. «
    Alessia schüttelte den Kopf.
    » Komm ins Licht! «
    » Nei n «, sagte sie zögernd.
    Einen Moment lang herrschte Stille.
    » Hast du Angst vor mir? «
    » Ja. «
    » Ich kenne Angst. «
    » So? «, presste Alessia hervor.
    » Große Angst. «
    » Dann weißt du, wie ich mich fühle. «
    » Ich will dir kein Leid zufügen. «
    Das mochte eine Lüge sein, doch Alessia erlaubte sich trot z dem ein vorsichtiges Aufatmen.
    » Wer bist du? «
    » Ich habe keinen Namen. Aber die anderen, die sind wie du, nennen mich den Aether. «
    Sie schluckte. » Du bist der Aether? «
    » Ich war es. Jetzt bin ich nur noch ein Teil davon. «
    » Das verstehe ich nicht. «
    » Komm ins Licht. «
    » Warum? «
    » Damit ich weiß, was du denkst. «
    Sie rührte sich nicht von der Stelle. » Das will ich nicht. «
    » Den anderen hat es nichts ausgemacht. «
    Welchen anderen? Etwa den Pumpeninspekteuren? Also waren Sandro Mirandola und seine Männer tatsächlich hier unten gewesen. Sie hatten all die Jahre über von diesem Ort gewusst. Und von dem Licht.
    Sie wagte nicht, die letzten Schritte in die Helligkeit zu tun, aber sie wollte auch nicht davonlaufen. Ihr ganzes Leben lang hatte sie ihre Neugier im Zaum halten müssen. Bücher waren verboten gewesen, aber sie hatte si e h eimlich gelesen. Eine Freundschaft mit Niccolo Spini war unter ihrer Würde gewesen, doch sie hatte ihn unbemerkt aus der Ferne beobachtet. Und vor allem über ihre Sehnsucht nach dem Erdboden hatte sie kein Wort verlieren dürfen, erst recht nicht als Tochter und Nachfo l gerin des Herzogs.
    Doch heute, an diesem erstaunlichen Ort, war niemand da, der ihr Verbote auferlegte. Sie konnte alle Fragen stellen, die ihr in den Sinn kamen. Keine Regeln. Keine Grenzen. Es war ve r rückt, aber sie hatte sich noch nie so frei gefühlt wie in diesem Augenblick.
    » Kennst du einen Mann namens Sandro Mirandola? «, erku n digte sie sich, weil sie beschlossen hatte, mit der Lösung der kleinen Rätsel zu beginnen. Sie wollte die körperlose Stimme im Licht nicht verärgern. » Er ist manchmal hier gewesen. Nicht oft. « » Und der Schattendeuter? Oddantonio Carpi? « » Ihn kenne ich nicht. «
    » Er behauptet, dass der Aether ihm Befehle gibt. « » Ah h « , seufzte die Stimme. » Nicht meine Befehle. « » Aber du hast gesagt, dass du der Aether bist. « » Ich habe gesagt: jetzt nur noch ein Teil davon. « Das Wesen machte eine kurze Pause, fuhr aber schon fort, bevor Alessia eine weitere Frage stellen kon n te. » Früher waren die Dinge anders. « » Was meinst du damit? « » Komm ins Licht. «
    » Ist Sandro Mirandola ins Licht gekommen? « » Er und die anderen, die hier waren. Lange vor ihm. «
    » Er ist tot. «
    Die Stimme schwieg wieder, und Alessia stellte sich vor, dass das Wesen nachdachte. Trauerte es um Mirandola?
    » Ich versteh e « , sagte es schließlich.
    » Ich will auch verstehen. Wer du bist. Und warum niemand sonst von dir weiß. «
    » Ich bin sehr einsam. «
    Alessia war nicht sicher, wie sie darauf reagieren sollte . » Jetzt bin ja ich hier. «
    » Aber du wirst wieder fortgehen. «
    Die ganze Insel wird untergehen, wenn kein Wunder g e schieht, dachte sie. Aber sie war nicht sicher, ob es gut wäre, das zu erwähnen.
    » Auch ich werde aufhören zu denke n « , sagte die Stimme u n vermittelt. » Und tot sein. «
    Alessia überlegte, ob sie wohl schon nahe genug

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