Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht
dem Himmel muss wiederherg e stellt werden. Das ist der einzige Weg. Doch ich sterbe, und darum kann ich die Insel nicht dort hinaufbringen. Und selbst wenn ich es könnte, würde mein anderes Ich, der andere Teil von mir dort oben nicht durch die Pumpen fließen, weil er es gar nicht will. «
Ganz allmählich erfasste Alessia, was das bedeutete. Alles war umsonst gewesen, all ihre Hoffnungen vergeblich . Selbst wenn es Niccolo gelingen würde, rechtzeitig den Atem eines Drachen zurück zur Insel zu bringen, wäre das nicht genug. Der Aether war wie ein Wasserrad: Solange das Wasser ohne Unterbr e chung nachfloss, konnte sich das Rad bis in alle Ewigkeit drehen. Versiegte aber der Fluss, half es nicht, einen Eimer Wasser über dem Rad auszuschütten – er würde es nicht wieder zum Laufen bringen.
Was nötig war, war ein ununterbrochenes Nachfließen . Darum starb das Aetherfragment, das in der Wolke zurückgeblieben war: Allein aus sich heraus konnte es nicht überleben. Es musste permanent erneuert werden, um seine Existenz zu erhalten.
» Nun verstehst d u « , sagte der Aether, der wieder ihre Geda n ken gelesen hatte.
» Dann gibt es keinen Ausweg? «
» Solange die Pumpen keinen neuen Aether fördern – nein. «
Sie sank auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen.
» Ich kenne Schmer z « , sagte die Stimme im Licht. » Ic h k enne Trauer. Ich kenne Angst. All das habe ich verspürt, als der Aetherstrom abriss und ich allein zurückblieb . Aber nichts davon kann etwas ändern. Das sind nur Gefühle. «
Alessias Kopf ruckte hoch. Mit tränennassen Augen starrte sie ins Licht. » Aber Gefühle machen einen Verstand erst aus! Das hast du selbst gesagt! «
Der Aether antwortete nicht. Vielleicht musste er darüber nachdenken. Vielleicht war es ihm auch egal.
» Eines kann ich für dich tun, Alessi a « , sagte er nach einer Weile, in der er ihrem Schluchzen schweigend zugehört hatte.
» So? «
» Du möchtest zurück ins Freie, nicht wahr? «
Sie stolperte auf die Füße, kaum dass er zu Ende gesprochen hatte. » Ja! Natürlich! «
» Ich bin der Aether. Ich kann die Wolken nach meinem Willen formen. Ich bin es, der sie erstarren ließ – und ich kann sie auflösen. «
» Heißt das, du kannst einen Ausgang erschaffen? «
» Aber ja. «
» Und das würdest du tun? «
Der Aether klang müde und niedergeschlagen. » Was spräche dagegen, kleine Herzogstochter? Nichts als meine Einsamkeit. «
ÜBER DEN KNOCHENPASS
» Das ist aussichtslo s «, murrte Feiqing, als er an den steilen Felsen emporblickte. » Vollkommen unmöglich! «
Wisperwind blieb stehen und folgte seinem Blick an dem grauen Granit empor. Er hatte Widerworte erwartet – für gewöhnlich redete sie gegen alles an, was er sagte –, aber diesmal blieb sie stumm und nickte. Was sie allerdings keine s wegs davon abhielt, ihren Aufstieg fortzusetzen.
Feiqing raffte sich mit einem leidvollen Stöhnen auf und folgte ihr den Hang hinauf. Ein paar hundert Meter über ihnen erhob sich die gezackte Silhouette der Felsenkette, hinter der die Schwertmeisterin den Drachenfriedhof vermutete.
Vermutete!, dachte Feiqing griesgrämig. Wahrscheinlich würden sie den Pass dort oben erreichen, halb tot und mit blutenden Füßen, um festzustellen, dass auf der anderen Seite nichts war als ein weiteres Tal, so menschenleer und leblos wie der Rest jener öden Landschaft, die sie seit gestern Abend, seit dem Verlassen der Wälder, durchquerten.
Wisperwind hatte ihnen die Raunen vom Hals geschafft, aber das lag schon etliche Tage zurück, und von der Verletzlichkeit, die sie danach gezeigt hatte, war nichts mehr zu bemerken. Sie wanderte wieder rasch un d z ielstrebig und nahm nur selten Rücksicht auf Feiqings Mühsal. Das festgewachsene Drache n kostüm lag wie ein Mühlstein um seinen Hals, mal vollgesogen vom Regen, dann – bei Sonnenschein – wieder so heiß, dass er darunter gebacken wurde wie Fleisch in einer Teigrolle. Längst sehnte er sich zurück nach den Bequemlichkeiten im Käfig der Gaukler – er war ein Gefangener gewesen, aber immerhin hatte er nicht laufen müssen. Ja, sein Leben hinter Gittern hatte durchaus einiges für sich gehabt. Hätten Nugua und Niccolo ihn nicht einfach zurücklassen können? Aber nein, Helden hatten sie spielen und ihn retten müssen wie eine zimperliche Prinzessin! Hatte er sie vielleicht darum gebeten? Nun ja, genau genommen hatte er das wohl. Aber wer hörte denn schon auf einen Kerl
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