Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht
im Drachenkostüm! Sie hätten wissen müssen, dass es ihm damit nicht ernst war.
Und nun schleppte er sich im Schneckentempo diese Berge hinauf und blickte tagein, tagaus auf Wisperwinds Rücken, bis er jeden Fleck, jede Knitterfalte in ihrem grünbraunen Mantel kannte und begann, Figuren und Gesichter darin zu sehen wie in einem wilden Wolkenhimmel.
Je höher sie kamen, desto deutlicher zeichnete sich der Pass zwischen den Felsgipfeln ab. Es gab hier keine Wege, nicht einmal Trampelpfade, weil es nie einen Menschen in diese Gegend verschlug. Der Pass war ein natürlicher Einschnitt, hinter dessen V-förmiger Silhouette Nebelschwaden aufstiegen. Sie ließen für das Land dahinter wenig Gutes erahnen. Ein paar verkrüppelte Zedern klammerten sich an Steilwände und Granitnadeln, aber keine von ih nen trug Laub. Es roch muffig nach nassem Gestein, obwohl der letzte Regen schon zwei Tage zurücklag.
» Du bist selbst nie hier gewesen, stimmt ’ s? «, keuchte er.
» Wie oft willst du das noch fragen? «
» Bis du mir erklärst, was dich so sicher macht, dass wir am richtigen Ort sind. «
» Die Karte aus den Lavatürmen war eindeutig. «
» Oh ja, natürlic h «, gab er bissig zurück. » Die Karte, die jetzt Li und Nugua bei sich haben. Wäre es nicht eine gute Idee gewesen, sie vorher abzuzeichnen? « Aber der Gedanke an das totgeweihte Mädchen dämpfte seine Streitlust, und er versank wieder in düstere Grübeleien.
Am späten Nachmittag erreichten sie den Pass – immerhin etwas, das Feiqing während der letzten zwei, drei Stunden für unmöglich gehalten hatte. Allmählich hatte er geglaubt, dass sich hinter diesen Felsen in der Tat etwas Übernatürliches verbarg – etwas, das in der Lage war, die Gipfel immer weiter von ihnen fortzurücken, schneller als sie gehen konnten, und doch gemächlich genug, um ihnen falsche Hoffnungen zu machen.
Am Ende ihres Aufstiegs öffnete sich vor ihnen eine triste Schneise zwischen den Granittürmen, enger, als sie von unten ausgesehen hatte, und derart von Geröll und geborstenen Felstrümmern übersät, dass der Weg hindurch kein bisschen leichter fiel als die elende Kletterei die Hänge hinauf.
» Wer hätte gedacht, dass es so enden würd e «, japste er.
» Red keinen Unsinn. «
» Wir werden uns die Knöchel brechen und liegen blei ben, bis uns die Adler finden und an ihre Jungen verfüttern. Nicht mal Wölfe verirren sich in diese Gegend. «
» Dafür solltest du dankbar sein. «
» Mein Herz quillt mir über vor Dankbarkeit. Heiterkeit erfüllt mich durch und durch. Die Zukunft ist golden und das Leben ein Königreich. «
» Das ist der Feiqing, den ich mag. «
Ein Fluch blieb ihm in der Kehle stecken. Seine Augen weit e ten sich, sein Atem stockte.
Der Einschnitt am Ende des Passes, eben noch ein Tor zu wabernden Nebeln, war nicht länger leer. Der Dunst war aufgerissen und hatte etwas enthüllt, das auf den ersten Blick wie ein knorriger Baum aussah.
Auf den zweiten wie eine bizarre Statue.
Auf den dritten wie das Gerippe eines Drachen.
Wisperwind blieb stehen. » Bei allen Götter n «, flüsterte sie in den scharfen Wind, der ihnen durch die Felsschneise entgege n fegte.
Feiqing machte einen Schritt zurück und landete prompt auf seinem gepolsterten Hinterteil.
Die Schwertmeisterin setzte sich wieder in Bewegung und kletterte über den nächsten Wall aus Geröll.
» Wisperwind! «
Seine Stimme klang noch kläglicher als sonst, und vielleicht bemerkte sie das auch, denn sie verharrte und blickte zu ihm zurück. » Was? «
» Ich … ich kann mich erinnern. «
Sie richtete sich auf und balancierte dabei geschickt auf zwei Felsbrocken. » An alles? «
Er schüttelte den Kopf. Sein klobiger Drachenschädel kam ihm schwerer vor als sonst. » Nur an das da. « Er zeigte mit zitternder Pranke auf das Gerippe am Ende des Passes. » Ich hab das schon mal gesehen. «
Sie kletterte zurück zu ihm und streckte ihm eine Hand entg e gen, um ihm aufzuhelfen. » Du warst ja auch schon hier. «
Hektisch blickte er sich um, und nun war ihm, als hätte er auch die dunkelgrauen Felswände, diese ganze scheußliche Einöde schon einmal erblickt. Damals, vor fast drei Jahren, als ihm der Wächter des Drachenfriedhofs das Gedächtnis geraubt hatte.
» Hättest du nicht die ganze Zeit über nur auf deine Füße gestarr t «, sagte sie, » w äre dir das alles hier vielleicht schon früher bekannt vorgekommen. «
» Lauf du mal mit solchen Füßen über
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