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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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s bergen. Falls sich die Drachen wirklich in die Heiligen Grotten zurückgezogen hatten und falls es ihr gelang, bis dorthin durchzuhalten, mochte Yaozi einen Weg kennen, um sie zu heilen. Aber sie machte sich nichts vor. Ihre Chancen standen nicht gut. Und nicht gut war noch die hoffnungsvollste Ei n schätzung, die ihr einfiel.
    Aber sie vermisste nicht nur die Drachen. Sie dachte oft an Niccolo, auch wenn sie ihn in Gedanken immer weiter von sich fortdriften sah, in die Arme dieses Mädchens . Dieser Mörderin. Als sie Niccolo begegnet war, hatte Nugua die Menschen verabscheut. Selbst Monate nach dem Verschwinden der Drachen hatte sie sich den Menschen noch immer überlegen gefühlt. Erst durch Niccolo hatte sie gelernt, ihre Abstammung zu akzeptieren. Trotzde m w ar da war auch noch der Drache in ihr, die Tochter Yaozis. Sie war beides, Mensch und Drache. Niccolo hatte ihr gezeigt, dass man anders sein konnte, ohne darauf zu beharren, besser zu sein.
    Auch Feiqing kam ihr oft in den Sinn, der tollpatschige, be s serwisserische, manchmal unerträgliche, aber eben auch herzensgute Feiqing in seinem dummen Kostüm . Und Wispe r wind … nun, sie war eben Wisperwind. Nugua war ihr kaum begegnet, als sich ihre Wege am Ufer des Lavastroms schon wieder getrennt hatten.
    Vor allem aber, und das überraschte sie, vermisste sie Li . Dass sie um den Xian trauern und ein schlechtes Gewissen haben würde, weil er sich für sie geopfert hatte – das war selbstve r ständlich. Aber dass er ihr tatsächlich fehlen würde, als Mensch oder Freund oder was immer er auch in Wahrheit gewesen war, das verblüffte sie.
    Und gerade diese Verblüffung trieb den Dorn noch tiefer, machte den Verlust noch schmerzhafter. Warum war sie überrascht? Weshalb konnte sie nicht einfach traurig sein ohne jeden Vorbehalt? Zum ersten Mal ahnte sie, dass wahrhaftige Trauer unendlich viel komplizierter war als Tränen und Allei n sein. Trauer zog eine Schleppe aus Zweifeln, Schuld und hässlichen Fragen mit sich. Fragen, die man sich selbst stellte. Wer allen Ernstes glaubte, Trauer täte gut, der hatte noch nicht tief genug in den Spiegel geblickt, den sie einem vorhielt.
    Die Wälder, die unter Nugua hinwegglitten, wurden wieder dichter. Schon hatte sie geglaubt, die kargen Kalklandschaften seien ein Anzeichen dafür, dass die Wüst e n icht mehr fern war, die letzte große Herausforderung vor den Himmelsbergen. Aber nun wellte sich das Land wieder dunkelgrün bis zum Horizont, bergiger als zuvor und durchzogen von tiefen Furchen.
    Wohin bringst du mich nur?, fragte sie den Kranich in Geda n ken und ließ sich wieder vornübersinken, legte die schmerzende Brust an sein glattes Gefieder und presste die Wange an den Ansatz seines langen Halses. Der Vogel ließ es geschehen, auch wenn ihm ihre Last so weit vorn unangenehm sein musste. Wahrscheinlich spürte er, wie schlecht es um sie stand.
    Als Nugua das nächste Mal die Augen öffnete, waren die Wälder verschwunden. Unter ihr breitete sich kahles Bergland aus wie zerknüllter Stoff. Sie sah weit und breit keinen Baum mehr und nahm an, dass sie den halben Tag verschlafen hatte. Oder war dies schon der nächste Tag ? Der Kranich schien kaum Ruhe zu benötigen – er hatte von Li den Auftrag bekommen, sie ohne Verzug in die Himmelsberge zu tragen, und das tat er bislang mit unerschütterlicher Ausdauer. Aber konnte sie wirklich einen ganzen Nachmittag und eine Nacht verschlafen, ohne ein einziges Mal wach zu werden?
    Bewusstlosigkeit ist kein Schlaf, sagte sie sich verstört . Aber sie hatte das Gefühl, dass es ihr wieder ein wenig besser ging – und das sprach dafür, dass sie tatsächlich lange ausgeruht hatte. Ihr Herz schlug noch immer viel zu schnell, aber der Schmerz konzentrierte sich jetzt allein auf ihren Brustkorb und streute nicht mehr in ihren ganzen Körper. Ihr Kopf tat nicht mehr weh, und das war ei ne Menge wert. Zum ersten Mal seit ihrem Aufbruch vom Drachenfriedhof konnte sie wieder klar denken.
    Die triste Berglandschaft unter ihr erstreckte sich in Wellen aus verbranntem Ocker und schattigem Gelb, anders als all die Felsgebiete, die sie bislang überflogen hatte. Zum ersten Mal schien die Welt dort unten ihr zuzuraunen, dass die Wüste Taklamakan nicht mehr fern war.
    Tatsächlich war es auch wärmer geworden; seltsamerweise war das die letzte Veränderung, die ihr bewusst wurde. Der Kranich hatte die Ausläufer des Gebirges passiert, vorüber an fernen, schneebedeckten Gipfeln,

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