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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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voneinander.
    Die Gelenke knickten kaum merklich ein, die dürren Glieder federten, dann stieß sich die Bestie mit einem gewaltigen Sprung von der Wand ab.
    Alessia richtete sich auf und erwartete sie.
    Doch das Wesen schnellte nicht in gerader Linie auf sie zu, sondern schoss hinauf zur Hallendecke. Noch immer schien es Wände und Decken dem Boden vorzuziehen. Kopfüber krabbe l te es unter der Hallendecke entlang und hakte dabei die Dornen an den Armen und Beinknochenspeichen so geschwind in die Wolkenfläche, dass Alessias Augen kaum folgen konnten. Ihr Blick wurde wieder von dem schnappenden Schlund angezogen, dem schimmernden Reißzahn, der aus dem Oberkiefer ragte und wie ein messerscharfer Schnabel abwärtswies.
    Die Bestie war jetzt genau über ihr.
    Und ließ sich fallen.
    Alessia gab dem Luftschlitten einen Stoß. Mit einem Knarren der hölzernen Verstrebungen glitt das Gefährt auf die Rampe. Sie sprang hinterher, landete bäuchlings darauf und wurde mit auf die Öffnung am Ende der Schräge zugezogen.
    Die Kreatur setzte kreischend hinterher. Ein dolchlanger Stachel bohrte sich in Alessias linken Oberschenkel . Der Schmerz raubte ihr fast die Besinnung, aber es gelang ihr, sich irgendwie an dem Schlitten festzuhalten. Nur noch ein paar Meter bis zum Abgrund.
    Das Wesen holte auf, stakste über die liegende Alessia hi n weg. Der Dorn wurde aus ihrem Schenkel gerissen – der Schmerz konnte tatsächlich noch schlimmer werden, wer hätte das gedacht –, dann war die Kreatur genau über ihr. Der Schädel kippte nach hinten, ruckte wieder nach vorn. Der graue Muske l strang entrollte sich, peitschte i n e iner eleganten S-Form in die Höhe – und sauste abwärts, um Alessias Kopf zu zertrümmern.
    Mit einem Aufschrei rollte sie sich zur Seite, unter der Kreatur hindurch, stieß dabei eines der widerwärtigen Knochenbeine beiseite und landete auf der Rampe. Der Schädelstrang hieb hinter ihr auf Holz und Leder und zerfetzte mit einem Schlag das vordere Ende des Luftschlittens. Wutentbrannt wurde der Tentakel zurückgezogen, peitschte zur Seite, suchte Alessia.
    Der Schlitten kippte über die Kante. Die Kreatur war noch immer in das Gestänge verkrallt, reagierte zu spät – und wurde mit hinab in den Abgrund gerissen.
    Auch Alessia rollte weiter die Rampe hinunter, tastete blin d lings um sich und stemmte sich gegen den Schwung ihres eigenen Körpers. Zuletzt gelang es ihr, den Sturz aufzuhalten, unmittelbar vor der Kante. Unter sich, schon sehr weit entfernt, sah sie den zerstörten Luftschlitten mitsamt seines unfreiwill i gen Passagiers in die Tiefe stürzen. Noch bevor er in die Baumkronen krachte, wurde er vor dem wogenden Grün und Braun unsichtbar, ein Schatten unter Millionen anderen.
    Alessia blieb auf dem Bauch liegen, keine Handbreit vom Abgrund entfernt, zu schwach, um sich zu bewegen, zu heiser, um einen Ruf auszustoßen. Selbst dann schwieg sie noch, als sie über sich Stimmen hörte, oberhalb der Rampe, mehrere Frauen, darunter Lucia.
    Schwerfällig hob sie den Kopf und brachte den Schatten eines Lächelns zu Stande, als sie die Dienerinnen und Mägde dort oben der Reihe nach erkannte, bewaffnet mi t F leischerbeilen und Küchenmessern, sogar einem Teppichklopfer.
    » Zu spät «, krächzte sie, während sie begann, sich die Rampe hinaufzuschieben. Ihr durchbohrtes Bein brannte wie Feuer und wurde taub, noch ehe sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte.
    Schwielige Hände streckten sich ihr entgegen und zogen sie in Sicherheit.
     
    AETHERSTURM
     
    S ie wollten Alessia nicht gehen lassen, natürlich nicht.
    Sie fluchte, sie bat, dann befahl sie. Alles ohne Erfolg . Lucia baute sich wie eine Kerkermeisterin vor ihr auf und machte nicht die geringsten Anstalten, der Order ihrer Herrin Folge zu leisten.
    » Ich muss mit meinem Vater sprechen! «
    » Vor allen Dingen müsst Ihr ausruhen! «
    » Aber es ist wichtig. Für uns alle! «
    » Für heute habt Ihr genug für uns alle getan, Signorina Ale s sia. Ich werde nicht zusehen, wie Ihr Euch umbringt. «
    Diesen Wortwechsel hatten sie mindestens zehnmal geführt, und beide wiederholten ihre Standpunkte mittlerweile wie ein Credo. Alessia fehlte die Kraft zum Streiten, und das machte sie doppelt wütend.
    Sie war wieder im Bett, genau wie vor dem Überfall. Ihr Kampf mit den Kreaturen lag mehrere Stunden zurück . Sie hatte abermals geschlafen, nicht viel und alles andere als tief, geschü t telt von Albträumen, die das Erwachen erholsamer

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