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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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gemacht hatten als den Schlaf. Die Wunde in ihrem linken Oberschenkel war gereinigt und bandagiert worden; sie tat noch immer teuflisch weh, ein Lodern bis hinauf in ihren Brustkorb, aber das war ein gutes Mittel, um sie wach zu halten, in Sicherheit vor den Träumen.
    Ein Bote war zur Ebene gesandt worden, ehe Alessia es hatte verhindern können. Wenn ihr Vater erfuhr, dass sie am Leben war, dann erfuhr es auch der Schattendeuter . Sie traute ihm zu, dass er hier auftauchte, um sie ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen.
    Andererseits hatte der Vorfall gezeigt, dass es nicht ausreichte, die Angriffe am Rand der Ebene abzuwehren. Die beiden Kreaturen – offenbar die einzigen, die es bis hierher geschafft hatten – hatten entweder die Reihe der Verteidiger durchbrochen oder einen zweiten Weg auf die Wolke gefunden. Im Gegensatz zu den Baumdämonen scheuten sie sich nicht, ihr natürliches Revier zu verlassen. Womöglich schwärmten sie gerade die Berge herauf und wechselten von dort aus zur Insel herüber.
    » Der Schattendeuter ist ein Verräter «, versuchte es Alessia zum zigsten Male. » Ich habe Beweise dafür. Mein Vater muss so schnell wie möglich davon erfahren. «
    » Dann schickt einen zweiten Boten «, entgegnete Lucia . Schr e cken glomm in ihrem Blick, jedes Mal wenn Alessia den frevlerischen Vorwurf aussprach.
    » Ich muss selbst mit ihm sprechen. Mir wird er glauben. «
    » Er wird herkommen, wenn die Dämonen besiegt sind . Dann könnt Ihr mit ihm reden, so lange Ihr wollt. «
    Am liebsten hätte Alessia die Amme kräftig durchgeschüttelt. Es würde keinen Sieg geben. Sie wussten nicht einmal, wie viele Männer noch am Leben waren. Oder ob es ihrem Vater und Lucias Söhnen gut ging. Nicht einmal Verletzte wurden zurück ins Dorf transportiert. Je nachdem, wie sich der Wind drehte, wehte Geschrei vom Rand herüber. Bis zum Schlachtfeld waren es von hier aus kaum mehr als zwei Kilometer, aber Wolkenh ü gel verdeckten vom Dorf aus die Sicht zur Ebene. Immerhin hörten sie die Männer noch, und oft genug schienen sie eher Kampfrufe auszustoßen als Todesschreie. Ein verzweifelter Strohhalm, an den sich die Hoffnungen der Frauen klammerten.
    Alessia genügte das nicht. Die Wahrheit über den Schatte n deuter war der Hauptgrund, weshalb sie mit ihrem Vater sprechen wollte, aber es war nicht der einzige. Sie machte sich entsetzliche Sorgen um ihn. Dabei verdrängte sie so gut es ging die Vorstellung, dass er umkommen könnte und sie selbst die Herrschaft über die Insel würde antreten müssen.
    Falls die Botschaft ihren Vater wirklich erreicht hätte, wäre er dann nicht längst zurückgekehrt, um sich zu vergewissern, dass es ihr gut ging?
    Aber nein, sie konnte ihm nicht verübeln, dass er in diesen Stunden bei seinen Männern ausharrte. Der Bote hatte ihm mitgeteilt, dass es Alessia den Umständen entsprechend gut ging. Vorerst musste das reichen.
    Mit einem Ächzen sank sie zurück ins Kissen. » Ich will jetzt schlafen «, murmelte sie.
    » Glaubt ja nicht «, argwöhnte die Amme, » dass Ihr mich rei n legen könnt. Ich habe ein Auge auf Euch, auch wenn Ihr schlaft. «
    » Herrje, Lucia! Du sagst, ich soll mich ausruhen. Nun will ich mich ausruhen, und das passt dir auch nicht. «
    » Ihr seid gerissen «, gab die Alte zurück, aber jetzt glomm gutmütiges Verständnis in ihren Augen. Sie sorgte sich um Alessia wie um eine Tochter, ganz gleich, wie unerbittlich sie sich nach außen hin gab.
    Mit einem Seufzen ging sie hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Alessia blieb allein zurück, blickte zur Decke empor und horchte, wie draußen auf dem Gang ein Stuhl gerückt wurde und Lucia sich darauf niederließ.
    * * *
    Letzten Endes war es leichter, als sie befürchtet hatte.
    Nachdem es längst dunkel war, hatte sich Lucia einigen Fra u en angeschlossen, um zu beraten, wie sie den Männern zu Hilfe kommen konnten. Alessia hatte mit angehört, wie sie vor der Tür ihres Zimmers getuschelt hatten . Schließlich war die alte Frau mit den anderen fortgegangen. Gewiss nicht weit, vielleicht nur in eines der benachbarten Zimmer, doch das musste gen ü gen.
    Alessia hob ihr verletztes Bein mit beiden Händen vom Bett. Als sie versuchte, darauf zu stehen, war sie im ersten Moment überzeugt, nie wieder laufen zu können. Der Schmerz erwachte, als hätte er zwischenzeitlich eine Verschnaufpause eingelegt, um sie nun mit neuer und noch größerer Macht zu quälen. Mit tränenden Augen stand sie da, eine

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