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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Hand am Bettpfosten, die andere auf ihren Mund gepresst, um ein Schluchzen zu unter - d rücken. Irgendwann, nachdem der erste Schreck abgeklungen und die Pein zu einem wabernden, diffusen Nebel geworden war , machte sie tastend ein paar Schritte im Zimmer auf und ab. Es tat höllisch weh, nicht nur beim Auftreten. Sie versuchte, sich an all die verwundeten Sagengestalten in den verbotenen Büchern zu erinnern, aber im Vergleich zur Wirklichkeit ihrer eigenen Schmerzen verblasste jegliches Heldentum der Lege n den zu Lügen aus Tinte und Papier.
    Gescheitert wäre sie fast daran, sich eine Hose und ein Wams überzuziehen. Schließlich gelang es ihr, doch sie verlor zw i schenzeitlich fast das Bewusstsein, und zuletzt kam es ihr vor, als hätte sie Stunden dafür benötigt. Lucia konnte jeden Auge n blick zurückkehren.
    Alessia brauchte eine Krücke, irgendetwas, um sich abzustü t zen. Vergeblich schaute sie sich in ihrer Kammer um, ein schlichtes Quartier, das ihr nur zum Schlafen diente, schmuc k los, mit nichts als Bett und Kleiderkisten möbliert. Die Zeit, die ihr zur freien Verfügung stand, hatte sie zumeist im Freien verbracht, im Sattel ihres Pferdes oder zurückgezogen irgendwo am Rand der Wolke, wo man sie in Ruhe ließ und sie heimlich in den verbotenen Schriften lesen konnte.
    Vorerst musste sie es ohne Krücke schaffen. Wenn sie erst im Stall war, würde es leichter werden.
    Sie humpelte auf den verlassenen Korridor. Bis zum Ausgang hinaus auf den Hof war es nicht weit, aber aus dieser Richtung drangen ihr Stimmen entgegen. Sie musste einen Umweg in Kauf nehmen, durch einen Hinterausgang und von dort um das Gebäude herum. Allein der Gedanke an die Entfernung brachte sie fast dazu aufzugeben.
    Leise bewegte sie sich vorwärts. Die Stimmen der Frauen waren so nah, dass sie manchmal Wortfetzen verstand . Lucias Stimme hörte sie deutlich zwischen den anderen heraus. Ein Streit war im Gange, immer wieder unterbrochen von Einzelnen, die in Tränen ausbrachen oder hysterisch aufschluchzten.
    Mit einer Hand an der Wand abgestützt, die andere in den Stoff ihrer Hose gekrallt, um das verletzte Bein bei jedem Schritt anzuheben und abzusetzen, schob sich Alessia den Gang hinab. Sie hatte noch nie im Leben solche Schmerzen gehabt, aber schon bald verwandelte sich die Pein in einen sonderbaren Dämmerzustand, der ihr einerseits half durchzuhalten, der andererseits aber einer Besinnungslosigkeit gefährlich nahe kam.
    Draußen herrschte Nacht. Ihr Pferd wieherte leise, als sie im finsteren Stall an seine Seite trat. Den Sattel auf seinen Rücken zu wuchten war eine zu große Herausforderung; sie versuchte es, ließ ihn aber fallen, kaum dass sie ihn gepackt hatte. Schlie ß lich zog sie sich auf den bloßen Rücken der Stute, krallte die Hände so gut es ging in die Mähne und flüsterte dem Tier zu, sie ins Freie zu tragen . Das Pferd gehorchte und schien sogar Rücksicht auf ihren Zustand zu nehmen: Statt draußen sogleich in Galopp auszubrechen, wie es das oft tat, trug es sie in sanftem Trab durch das Hoftor, zwischen den kauernden Häusern der Ortschaft hindurch, hinaus auf die mondbeschienenen Wolke n hügel.
    Alessia schwitzte, und manchmal überkamen sie Wellen von Schüttelfrost, aber sie hielt sich fest, lag mehr auf de m P ferd, als dass sie saß, und gab ihm nur dann und wann mit den Fersen zu verstehen, in welche Richtung es sie tragen sollte.
    Der Schein zahlreicher Feuer gloste über der Ebene, als sie den letzten Hügel überquerte. Die Männer hatten einen Wall aus Heu und Stroh in Brand gesetzt; aus allen Richtungen brachten Karren Nachschub aus den Scheunen herbei. Womöglich hielt das die Angreifer fern, denn von Weitem sah sie nirgends Kämpfe, wohl aber leblose Körper, die man nebeneinander aufgereiht hatte. An einer anderen Stelle beugten sich Gestalten über wimmernde Verletzte: Die meisten Zeitwindpriester waren hier und versorgten die Verwundeten; sogar Federico da Montefeltro, den Obersten der Priesterschaft, entdeckte sie, außerdem eine ganze Reihe Frauen, die es nicht mehr dahei m gehalten hatte. Mit einem gequälten Lächeln dachte sie, dass es nun nicht mehr lange dauern konnte, ehe auch Lucia und die Mägde auftauchten.
    Ein Wachtposten eilte auf sie zu und sagte, sie solle umkehren, dies hier sein kein Platz für die Tochter des Herzogs und, beim Großen Leonardo, woher denn all das Blut an ihrem Hosenbein käme. Sie hatte nicht mal bemerkt, dass die Wunde wieder aufgerissen

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