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Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht

Titel: Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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das Holz zu zerfetzen. Schon zeigten sich über ihrem Kopf die ersten Risse, dann zerbarst eines der Bretter und regnete als Hagel aus Splittern und Spänen auf sie herab.
    Sie ließ den Eisenring los. Wenn sie Glück hatte, würde es ihr Gegner oben auf der Tür nicht sofort bemerken. Die Bestie schlug und kratzte weiter, während Alessia die Treppe hinab - s türmte und mit jedem Schritt drei Stufen auf einmal nahm.
    Der Schacht war vor langer Zeit mitten durch die Wolkenma s se gegraben worden. Die Wände bestanden aus erstarrtem Dunst, hinter dem eine vage Helligkeit glomm . Alessia war diesen Weg schon viele Male gegangen, und sie hatte sich nie gefragt, woher dieses Licht eigentlich stammte. Wie selbstve r ständlich hatte sie angenommen, dass es Helligkeit von außen war, die durch die Wolkenmasse drang. In Wahrheit aber musste es sich um den Schein des Aetherfragments handeln. Der Gefangene im Zentrum des Eilands befand sich nicht weit von hier; das Dorf des Wolkenvolks lag nahezu im Mittelpunkt der Insel, und auch das Fragment glühte in ihrem Zentrum, viele Meter unter den Häusern. Wer immer diesen Schacht einst durch die Wolke getrieben hatte, hatte die geheime Intelligenz in ihrem Herzen knapp verfehlt.
    Alessia hatte zwei Drittel der Treppe geschafft, als die Kreatur oben im Zimmer die Falltür in Stücke riss . Ein Poltern ertönte, als das Wesen auf den Stufen landete.
    Alessia konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, stolpe r te mehr, als dass sie lief, und als sie endlich die unterirdische Halle an der Unterseite der Wolkeninsel erreichte, war ihr Verfolger ihr dicht auf den Fersen. Sie schaute nicht zurück, hörte ihn aber oben im Schacht, w o e r nicht die Stufen herab-, sondern an der Wand entlangtobte.
    Die Decke war haushoch, die Halle selbst ein Quadrat von fünfzig mal fünfzig Schritt. Es gab keine Einrichtung, nur hohe weiße Dunstwände und einen dünnen Boden, unter dem die Leere des Abgrunds gähnte. Tageslicht schien von unten hindurch. In der Mitte der Halle führte eine Rampe schräg nach unten und endete an einem Gitter, das mithilfe einer Kurbel geöffnet werden konnte . Neben der Rampe standen zwei Luftschlitten, vogelskelettartige Holzkonstruktionen mit Schwingen aus Stäben und Leder.
    Die Kreatur musste die Halle jeden Moment erreichen . Alessia rannte mit leichten Schlenkern auf die Rampe zu, umrundete sie und trat den Sperrbolzen der Kurbel beiseite. Der Seilzug knirschte, als sie ihn in Bewegung setzte. Quälend langsam klappte das Gitter nach außen und gab den Weg in den Abgrund frei. Als Alessia einen Blick in die Tiefe warf, erschrak sie bis ins Mark: Sie konnte alle Einzelheiten des bewaldeten Talb o dens ausmachen. Die Wolkeninsel war noch tiefer gesunken, als sie befürchtet hatte. Falls sich die Ränder weiterhin mit derse l ben Geschwindigkeit auflösten, würde es nicht mehr lange dauern, ehe die Insel den Boden erreichte. Und spätestens dann würde es für all die Wesen, die dort unten auf Beute warteten, kein Halten mehr geben.
    Noch dreihundert Meter bis zu den Baumwipfeln, schätzte sie. Höchstens vierhundert.
    Als sie aufblickte, glitt ihr Gegner gerade um die Eck e d es Treppenschachts, klammerte sich an der Hallenwand fest und krabbelte wie ein Affe daran entlang. Offenbar brauchte die Kreatur einen Augenblick, um die Dimensionen der Halle zu erfassen und sich zu orientieren. Sie mochte tödliche Stache l glieder und ein furchtbares Maul besitzen, aber ihr Verstand war längst nicht so flink wie ihre Bewegungen. Aufgeregt und noch immer rasend vor Zorn kletterte sie an der Wand auf und ab, vor und zurück und schien dabei mit verborgenen Sinnesorganen die Tiefe des Raumes auszuloten – und den Punkt, an dem sich ihre Gegnerin aufhielt.
    Alessia ignorierte die unmittelbare Gefahr. Wenn sie jetzt vor Angst erstarrte, war sie so gut wie tot. Mühsam schleppte sie sich hinter einen der beiden hölzernen Luftschlitten und schob ihn die wenigen Meter bis zur Oberkante der Rampe. Sie hatte damit früher so oft Flugversuche im Inneren der Halle unte r nommen, dass sie es bis in die letzte Einzelheit kannte, jede Strebe, jeden Riemen, jeden Gurt, mit dem man sich auf dem Bauch daran festschnallte.
    Die Kreatur stieß einen trompetenden Ruf aus, als sie ihre augenlose Ortung beendete. Der breite Schädelstrang entrollte sich triumphierend und peitschte in Alessias Richtung, ohne ihr jedoch nahe zu kommen – noch trennten sie fast dreißig Meter

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