Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht
Wir haben den Gipfel des höchsten Berges passiert, Alessia! Wir sind wieder frei! Und die Insel steigt weiter, immer höher … «
Der Freudenrufe wurden jetzt ohrenbetäubend. Alessia kam es vor, als loderten selbst die Flammen des Feuerwalls auf, weit im Hintergrund, drüben am Rand. Nicht s v on all dem konnte wahr sein. Alles war grässlich falsch, diese unverhoffte Rettung, die plötzliche Erschaffung neuen Aethers. Lügen, nichts als Lügen.
» Wir bewegen uns wieder! «, rief jemand. » Wir treiben nach Norden. «
Nach Norden, hallte es durch ihre Gedanken, während ihr Körper wie gelähmt war. Weshalb lag Carpi und dem Aether daran, dass die Wolkeninsel wieder frei kam? War es möglich, dass der Aether sie steuerte? Dass er ein Zie l f ür s ie hatte?
Was war oben im Norden?
Ihr Vater lächelte. Die Männer jubelten ausgelassen.
Alessia begann zu weinen, und jeder dachte, es wäre wegen der Schmerzen. In Wahrheit aber weinte sie um ihrer aller Zukunft.
DER SCHREI DES SPüRERS
F eiqing erwachte von einem grauenvollen Pfeifen in seinen Ohren. Hinter seinen Lidern tanzten goldene Lichter und Blitze. Aber es dauerte nur wenige Herzschläge, ehe die Bilder und Töne der letzten Ereignisse zu ihm zurü ckk ehrten.
Er war auf der Kommandobrücke des Luftschiffs gewesen, als der Spürer in seinem Geflecht aus Goldfäden plötzlich außer sich geraten war. Seine durchdringenden Schreie hatten das Schiff erschüttert, während alle auf der Brücke sich die Hände auf die Ohren pressten. Alle bis auf Feiqing, denn seine Hände waren gefesselt gewesen.
Er war dem Schrei des Spürers ausgesetzt gewesen, und Feiqing bezweifelte nicht, dass er ihm das stechende Pfeifen zu verdanken hatte. Nun also war er nicht nur in einem lächerlichen Drachenkostüm gefangen; noch dazu war er taub. Ganz abges e hen von der Tatsache, dass seine letzte Erinnerung an die Geheimen Händler keine war, die ihn besonders hoffnungsvoll stimmte: Sie hatten jemanden in ihm erkannt, an den er selbst sich nicht erinnern konnte. Jemanden, der es in ihren Augen verdient hatte, an einen Luftschlitten gefesselt und in den Schlund eines Drachen gestoßen zu werden.
Nein, das alles sprach nicht wirklich dafür, dass sich sei ne Aussichten verbessert hatten. Vielleicht war es eine gute Idee, die Augen einfach geschlossen zu lassen und sich weiterhin auf das grässliche Pfeifen zu konzentrieren . Früher oder später würde es ihn in den Wahnsinn treiben, was in Anbetracht seiner Lage nicht das allerschlimmste Schicksal war, das er sich ausmalen konnte.
» Feiqin g «, sagte eine Stimme neben ihm. » Komm schon, ich weiß, dass du wach bist. «
Verblüfft darüber, dass er hören konnte, öffnete er die Augen und entdeckte Wisperwind. Das Lächeln der Kriegerin wirkte wie üblich ein wenig bemüht, aber immerhin: Dass sie übe r haupt versuchte, ihn aufzumuntern, hielt er ihr zugute.
Er befand sich in einer Kammer mit kahlen Holzwänden. Eine Öllampe baumelte unter der Decke, schwankte leicht hin und her. Die gesamte Umgebung vibrierte kaum merklich. Wie es aussah, befanden sie sich noch immer an Bord des Luftschiffs. Seine Fesseln waren verschwunden.
» Ich dachte, ich bin tau b «, brachte er hervor. Seine Stimme klang in seinen eigenen Ohren blechern, so als hörte er sie nur im Inneren seines Schädels, nicht von außen.
Noch etwas war anders war als sonst.
Er lag in einem Bett, sein Kopf ruhte auf weichen Kissen. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt in einem Bett geschlafen hatte – das musste gewesen sein, bevor ihn der Wächterdrache mit dem Fluch des Vergessens belegt hatte. Danach hatte er die Nächte im Käfig der Gaukler, schließlich mit Niccolo und den anderen im Freien verbracht.
» Hörst du auch dieses Pfeifen? «, fragte er in einem schwachen Anflug von Hoffnung.
Wisperwind schüttelte den Kopf. » Jetzt nicht mehr. Nur die ersten paar Stunden lang. Du warst dem Gekreische dieses Kerls auf der Brücke schutzlos ausgeliefert. Wahrscheinlich hält es bei dir noch eine Weile länger an. «
Feiqing setzte eine Leidensmiene auf. » Wen sonst hätte es wohl auch mal wieder schlimmer treffen können als alle anderen … «
» Der Gildenmeister hat mir alles erzähl t «, sagte sie . » Über dich. «
Er schaute sich gerade in der kargen Kammer um, als die Bedeutung dieser Worte erst durch das Pfeifen, dann auch durch sein Selbstmitleid drang. » Über mich? «, wiederholte er.
» Ja. «
Er
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