Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht
Atems folgen wie einer Fährte. Sein neu beseelter Geist wird daran hinabklettern, in die Dongtian der Himmelsberge eindringen und Pangus letzte Ruhestätte entweihen. « Der Riese legte mit einem Knirschen den gewaltigen Kopf in den Nacken und blickte empor zu dem blauen Himmelband über der Schlucht. » Der Aether verfolgt zwei Ziele. Das eine ist die Vernichtung der Xian . Das zweite und weitaus größere aber ist die Erw e ckung Pangus. Darum sollten wir in die Himmelsberge aufbrechen. Wir müssen alles tun, um den Drachen im Ringen um Pangus Körper beizustehen. Falls es dem Aether erst gelingt, den Leib Pangus unter seine Macht zu zwingen, ist unser aller Schicksal besiegelt. Ihr Menschen glaubt, wir Riesen seien groß – aber ihr ahnt nichts von der wahren Größe des Einen, der uns alle erschaffen hat. Pangu wird die Welt unter seinen Füßen zermalmen. «
Feiqings Mund war so trocken wie die Wüste, die zwischen dieser Schlucht und den Himmelsbergen lag. In seinem Kopf schwirrten tausend Gedanken und Bilder – es war zu viel auf einmal, zu viel, das er nicht auf Anhieb erfassen, geschweige denn verstehen konnte. Zumindest eines aber hatte er sehr wohl begriffen: Es durfte dem Aether nicht gelingen, den Urriesen Pangu zu neuem Leben zu erwecken. Unter den Sohlen des Weltenschöpfers würden Gebirge bersten und Meere über die Ufer treten.
Seine Pranken reichten hoch genug, um die Sterne selbst vom Himmel zu reißen.
All die Wochen über war der Aether für sie nicht mehr als eine Idee gewesen, eine schwer zu erfassende, immaterielle Macht an einem Ort, an den keiner von ihnen jemals vorstoßen konnte. Jetzt aber stand er kurz davor, ein Gesicht und einen eigenen Körper zu erringen – den größten Körper, den die Welt jemals gesehen hatte.
Während die Geheimen Händler in aufgeregtes Palaver verfi e len, erhob der König der Riesen noch einmal seine Stimme: » Der Aether kann die Drachen nicht töten, denn damit würde er sich selbst schaden. Also wird er versuchen, sie auf anderem Wege davon abzuhalten, Pangus Leichnam mithilfe ihrer Magie zu beschützen. Er wird sie angreifen – auch wenn wir noch nicht wissen, wie. Doch das eine wissen wir: Wenn sein Geist erst einmal in den Leib des Urriesen gefahren ist, kann ihn niemand mehr aufhalten. Wir dürfen das nicht zulassen. Das Volk der Riesen wird heute noch aufbrechen. « Abermals neigte er sein tonnenschweres Haupt, doch diesmal kam es fast einer Verbe u gung gleich. Feiqing erzitterte. » Es würde uns ehren, wenn die Geheimen Händler Seite an Seite mit uns in die Schlacht zögen «, sagte Maginog. » Drachen, Riesen und Menschen vereint gegen die Macht des Aethers! «
STERNENBEBEN
Über der Wüste sank die Sonne dem Horizont entgegen . Die trockene Hitze des Tages würde bald in die Kälte der Nacht umschlagen. Das Flimmern über den Dünen des Sandozeans sank wie gläserner Nebel dem Boden entgegen, während Abendwinde vom Purpurhimmel wehten und kühle Schlieren durch die Wüstenluft zogen.
Niccolo saß fröstelnd auf dem Rücken seines Kranichs . Auf dem Weg zu Guo Laos Versteck, um dem Unsterblichen Tieguais Schriftrolle über die Mysterien der Berge zu bringen, hatten sie einen ganzen Tag verloren. Der Vogel hatte versucht, dem Befehl seines toten Meisters allzu wörtlich Folge zu leisten: Er hatte Niccolo auf dem schnellsten Weg über das Gebirge tragen wollen, aber schon bald erkennen müssen, dass sein Reiter zwischen den schneebedeckten Gipfeln erfrieren würde. Außerdem war die Luft dort immer dünner geworden, bis Niccolo das Atmen schwergefallen und der Kranich merklich ins Trudeln geraten war. Erschöpft hatten sie kehrtmachen müssen und waren erst den östlichen Ausläufern des Gebirges über bewaldete Hänge nach Norden gefolgt, dann seinem kargen Nordrand nach Westen.
Niccolo las die Himmelsrichtungen von den Gestirnen ab, hatte ansonsten aber jegliche Orientierung verloren.
Als er unter sich endlich das Dünenmeer der Taklamakan entdeckt hatte, hatte er gehofft, dass sie die Karawanserei, in die sich Guo Lao zurückgezogen hatte, bald erreichen würden. Nun aber schien die Einöde aus sonnenbleichen Sandkuppen und gelben Schattenseen kein Ende zu nehmen.
Während der ersten Tage hatte er im Vorgebirge oft Dörfer entdeckt, meist ärmliche Ansammlungen von Bambushütten; dann waren wieder Stunden vergangen ohne eine Spur von menschlichem Leben. Er hatte gewusst, dass der Westen und Norden Chinas nur spärlich
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