Das Wolkenvolk 02 - Lanze und Licht
stand.
» Wir sind hier, um Handel zu treiben «, sagte Wisperwind. » Also lasst uns unsere Waren tauschen. Euer Wissen gegen unseres. «
Xu wollte abermals aufbegehren, doch nun war es Feiqing, der ihn von hinten am Arm herumriss. Noch ehe Kangan reagieren konnte, fauchte der Rattendrache dem Händler entgegen: » Es ist unser Wissen, nicht deines, Gildenmeister. Wisperwind und ich haben es euch gebracht, und du hast kein Recht, es zu verka u fen. Lass sie mit dem König sprechen und, bei Xiwangmus göttlichen Pfirsichen, halt endlich deinen Mund! «
Kangan wagte nicht, vor den Augen des Riesenkönigs zur Waffe zu greifen, aber er zog Feiqings Hand vom Arm des Gildenmeisters und rückte zwischen die beiden. Feiqing war es einerlei; er hatte gesagt, was zu sagen war.
Der Riese verriet durch keine Regung, ob er den Streit zw i schen den Menschen überhaupt wahrgenommen hatte. Seine Aufmerksamkeit galt allein Wisperwind. » Ein Tausch «, sagte er dröhnend. » Wissen gegen Wissen. Ich bin einverstanden. «
Sekundenlang suchte Wisperwind nach den richtigen Worten. Dann begann sie in knappen Sätzen ihren Bericht von der Bedrohung durch den Aether, vom Tod der Xian und dem Rückzug der Drachen in die Himmelsberge. Maginog hörte schweigend zu, nun wieder so starr wie ein steinernes Götze n bild. Hinter ihm in der Finsternis zuckten die Ausläufer des Fackelscheins über die Umrisse weiterer Riesen, ohne auch nur erahnen zu lassen, wie viele von ihnen tatsächlich in der Finsternis auf den Befehl ihres Königs warteten. Hunderte, möglicherweise.
Nachdem Wisperwind geendet hatte, blieb der König eine Weile lang stumm. Auch die Giganten in seinem Rücken schwi e gen. Das Säuseln der Winde, die im Dunkeln um die Kolosse strichen, schien die Stille zwischen Riesen und Me n schen noch zu betonen. Feiqing trat nervös von einem Fuß auf den anderen, während die Gildenmeister die Lippen aufeina n derpressten und eine Reaktion des mächtigen Maginog erwarteten.
Endlich ergriff der König wieder das Wort. » Das sind schli m me Nachrichten. Vieles hat sich verändert, seit wir zuletzt aus unserem Schlaf erwacht sind. Der Aether hat in all den Zeita l tern niemals einen eigenen Verstand besessen, und doch plant er nun das Ende der Welt. Es fiele mir schwer, das zu glauben, spräche nicht etwas dafür, von dem ihr noch nichts ahnt. «
» Wissen gegen Wissen «, forderte Wisperwind.
» So soll es sein. « Flüstern wurde in den unsichtbaren Reihen der Riesen laut, aber es brach sofort ab, als König Maginog fortfuhr: » Ihr glaubt, die Welt würde unterge hen, wenn die Bande zwischen Himmel und Erde zerreißen. Doch darin täuscht ihr euch. Ganz allein derjenige kann diese Welt auslöschen, der sie erschaffen hat. Das erste und mächtigste aller Wesen – er, der vor den Göttern da war und der die Welt aus seinem eigenen Fleisch geformt hat. Pangu, unser Schöpfer. Der Erste aller Riesen. «
Wie alle anderen kannte Feiqing die Geschichte von Pangu und der Erschaffung der Welt. Er selbst hatte Niccolo während ihrer Wanderungen durch Sichuan davon erzählt. Das schien ein halbes Leben lang her zu sein.
Zuerst herrschten überall nur Dunkelheit und Chaos, hatte er damals gesagt. Doch aus der Dunkelheit formte sich ein gewa l tiges Ei, und aus diesem Ei schlüpfte Pangu, der Erste der Riesen. Dabei zerbrach es in zwei Hälften. Die reine, saubere Hälfte stieg auf und wurde zum Himmel, die unreine, schwerere Hälfte blieb liegen – das ist die Erde. Und weil Pangu befürc h tete, dass beide Teile wieder eins werden könnten, stellte er sich dazwischen und stützte sie. Auf seinem Kopf trug er den Hi m mel, und seine Füße drückten die Erde nieder. Dadurch schuf er das Gleichgewicht aller Dinge, Yin und Yang. Achtzehntausend Jahre lang stand Pangu zwischen den beiden Hälften des Eis, und an jedem Tag ist er drei Meter gewachsen. Dadurch wurde der Abstand zwischen Himmel und Erde immer größer, und als sie schließlich weit genug voneinander entfernt waren, legte sich Pangu zur Ruhe und schlief ein.
Er sei im Schlaf gestorben, erzählte man sich, und aus ihm entstand die Welt, wurde lebendig und einzigartig.
Sie wuchs und verselbstständigte sich, während das Wissen um Pangu in vielen Kulturen und Reichen verloren ging. Nur die Chinesen bewahrten die Wahrheit in ihren Legenden, darum waren sie die Begünstigten des Urriesen, die bevorzugten Kinder des Vaters aller Dinge.
Als Feiqing Niccolo davon erzählt
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