Das Wort des Hastur - 12
schüttelte sie den Kopf. Nein! Das würde nicht geschehen! Es durfte nicht geschehen!
Plötzlich verspürte Ginevra einen Schlag, der sie fast zu Boden riß. Mit einer Hand hielt sie sich den Kopf, mit der anderen suchte sie an einem nahen Stamm Halt. Was …
Ginevra blickte zu dem dunklen Himmel auf, aber die funkelnden Sterne und der Glanz des vierten Mondes verrieten ihr, daß es kein Donner gewesen sein konnte. Ihre Finger glitten abermals über den Sternenstein. Die Energie kam von dort! Sie war vorhanden, zwar schwindend … schlummernd … fast erstorben, wie Ginevra geglaubt hatte, und doch regte sich jetzt ein schwaches Anzeichen.
Ja! Ihre Finger umstrichen den Stein, und sie schloß fest die Augen. Hatte sie noch die Kraft? Könnte sie …?
Nein! Nicht daran denken! Konzentriere dich einfach nur, finde deine Mitte … schüttle alle Sorgen ab, bis nur noch Platz ist für … Laran!
Jetzt konnte Ginevra sie sehen, konnte sie mit Hilfe ihres Larans wahrnehmen: Zwei kräftige Männer und zwei Kinder. Das unschuldige Gesicht des kleinen Jungen, der über die breite Schulter des einen Mannes spähte und dessen große Augen sich trotz der unruhigen Flucht immer wieder schläfrig schlossen. Der andere Mann schleppte das Mädchen, das ältere der beiden Kinder, unsanft über die Schultern geworfen, fort. Ihre Gliedmaßen hingen schlaff herunter. Wie schlaff! Oh, Heilige Avarra, laß ihr nichts zugestoßen sein!
Ginevra kämpfte um jeden Funken an Energie und um die letzte Glut, die sie noch in sich entfachen konnte. Chiya, höre mich, spüre mich! In ihrer Vision sah sie, wie das Kind sich regte, hörte und spürte das Stöhnen und Wimmern, als das Kind wieder zu Bewußtsein kam. Dann herrschte Stille. Kein einziger Laut. Und Dunkel, nichts als tiefschwarzes Dunkel …
Ginevra öffnete die Augen, schloß sie wieder, sie hatte den Kontakt verloren. Wie eine schwere Decke senkte sich Müdigkeit auf ihre Schultern und drückte sie nieder. Der Rapport mit dem Mädchen war abgebrochen.
Aber sie mußte die Kinder finden! Sie mußte es einfach! Wieder biß sie die Zähne zusammen, schürzte ihre Kleider fester an sich und machte sich in die Richtung auf, die das Laran ihr gewiesen hatte.
Ein nutzloses, altes Weib – so werde ich enden! So gut wie kopfblind!
Einige Zeit später konnte Ginevra einen schwachen Lichtschein vor sich ausmachen. Offenbar legten sie eine Rast ein. Schwer atmend näherte Ginevra sich so leise wie möglich dem Feuer, in dessen Widerschein sie die Männer sehen konnte. Diese eingebildeten Mistkerle! Sie waren sich ihrer Sache so sicher, daß sie sich sogar die Zeit nahmen zu rasten und zu essen!
Ginevra schloß die Augen, atmete tief ein und dann ganz langsam wieder aus. Was konnte sie schon ausrichten? Eine Frau, auf sich allein gestellt und nahezu kopfblind, gegen zwei ausgewachsene und bewaffnete Männer! Wenn sie nur ihr Laran einsetzen könnte. Ja, wenn …
Plötzlich durchfuhr es Ginevra. Sie richtete sich auf, streckte ihre verkrampften Glieder und schüttelte mit einer heftigen Kopfbewegung ihre Kapuze ab. Ohne zu zögern zog sie ihren Sternenstein unter der Bluse hervor und hielt ihn in der offenen Hand. Dann trat sie aus ihrem Versteck in den Lichtschein des Feuers, begierig, die Kinder wiederzusehen.
Der kleine Eduin schlief auf einer Decke neben dem Baumstamm, auf dem der schmächtigere der beiden Kerle saß. Neben dem größeren kauerte Carletta einsam und verloren. Ginevra trat noch einen Schritt auf sie zu, wobei sie intensiven Blickkontakt mit dem Mädchen aufnahm. Lies in meinen Augen, Chiya! Dort erkennst du meine Botschaft!
Der größere der Männer stand langsam auf und spuckte verächtlich auf den Boden. Seine braunen Augen erwiderten selbstbewußt und herausfordernd Ginevras Blick. Er grinste seinem Kumpan zu: »Was sagste dazu, Greg! Sieht so aus, als ob wir noch ‘ne Geisel haben! Oder glaubste, die Dame hier sucht nur ein bißchen Gesellschaft?«
»Vorsicht, Dev! Die hat einen Sternenstein. Die ist bestimmt die Leronis des Hauses, Dev!« Und mit gedämpfter Stimme fügte er hinzu: »In Zandrus Namen, Dev, die hat Laran!«
Dev verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein, spuckte erneut aus, und blickte dann abwechselnd zwischen Ginevra und seinem Spießgesellen hin und her.
»Ne alte Schachtel wie die, Greg? Du machst wohl Witze!«
»Doch, es stimmt«, piepste eine junge Stimme neben ihm. Carletta stand auf, aber Dev drückte sie sofort wieder unsanft zu
Weitere Kostenlose Bücher