Das Wort des Hastur - 12
erklären. Die meiste Zeit leistet er Don Garyth Gesellschaft. Euer Vater steht ja kaum noch auf. Ranarl muß sich um ziemlich alles kümmern, sei es drinnen oder draußen. Die meisten Diener sind im letzten Krieg davongerannt und haben sich als Söldner verdingt – Ihr wißt ja, wie das bei uns in den Bergen so ist – und jetzt ist außer uns keiner mehr da. Wir tun, was wir können, aber es ist nicht leicht.« Sie schüttelte bekümmert den Kopf. »Aber ich sollte Euch nicht mit unseren Problemen behelligen. Heutzutage hat doch jeder seine Sorgen. Wir dachten nur, Ihr solltet Euren Vater noch einmal sehen, bevor er stirbt. Aber erst müßt Ihr etwas essen! Kommt und setzt Euch zu mir in die Küche, wo es warm ist, wenn Ihr nichts dagegen habt.«
»Wie sollte ich!« lachte Carilla. »Für ein Festbankett bin ich ja wirklich nicht passend gekleidet.«
»Ihr seht genauso aus wie Eure Mutter, als sie in Eurem Alter war. Natürlich trug sie damals kein Schwert, aber die Zeiten ändern sich eben!« Mara nahm Carilla bei der Hand und führte sich durch die lange, düstere Halle zu dem anheimelnden Licht, das aus der Küchentür drang. Carilla nahm an einem groben Holztisch in der Nähe der Feuerstelle Platz, auf den die alte Frau sogleich zwei Tassen mit heißem Kräutertee stellte. Die Küche weckte bei Carilla so manche Kindheitserinnerung an all die vielen Stunden, in denen sie sich zu den Dienern davongestohlen hatte, die ihr mehr Aufmerksamkeit schenkten als ihre Eltern.
Mara tischte ein Gericht nach dem anderen auf und schwatzte dabei in einem fort. »Ich hoffe, Ihr habt Euer Glück gefunden. Aber Ihr – vergebt mir die Frage – Ihr seid nicht verheiratet? Ich meine halt nur es sieht nicht danach aus …«
»Wohl kaum!« rief Carilla, halb scherzend, halb bedauernd. »Die Ehe ist nicht alles im Leben.« Sie machte sich begierig über das Essen her, aber auch ihr konnte es nicht entgehen, daß das Hühnchen ziemlich zäh und mager war und in dem Nußbrot die Nüsse fast völlig fehlten. Bedrückt mußte sie erkennen, daß es wohl nicht nur an Maras hohem Alter lag, daß sie so dünn geworden war.
»Oh, sagt so etwas nicht«, nahm Mara den Gesprächsfaden wieder auf. »Jede Frau wünscht sich doch einen Mann. Es ist halt so … nun ja, bei Euch ist es nun einmal anders gekommen. Die Menschen denken, doch die Götter lenken. Und wir werden vermutlich nie wissen, was die Götter noch für uns bereit halten.«
»Nein, vermutlich nicht«, meinte Carilla nachdenklich. Ihr Schicksal hatte sich so oft und auf so merkwürdige Weise gewendet, und vielleicht war diese neue Wendung die merkwürdigste von allen. Wer hätte schon noch damit gerechnet, daß sie noch einmal in ihrem Elternhaus willkommen geheißen würde?
Die Gemächer ihres Vaters waren ihr als Kind viel größer vorgekommen, aber auch so waren sie, trotz der vielen Spinnweben am Schnitzwerk, noch imposant. Allerdings hatte man überall den Eindruck, daß eine gründliche Reinigung dringend nötig war; im Zimmer hing der Mief von Moder und Krankheit. Carilla atmete noch einmal tief durch, bevor sie eintrat. Ihre Schritte hallten laut nach.
Ranarl eilte ihr entgegen und verbeugte sich. »Euer Vater erwartet Euch bereits mit Ungeduld.« Und etwas leiser fügte er hinzu: »Euer Pferd habe ich gefüttert. Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen. Seid vor allem nicht beunruhigt, wenn der alte Herr Euch nicht erkennt; manchmal kennt er selbst mich nicht mehr.«
»Es ist alles so lange her.« Carilla fühlte sich plötzlich wieder wie ein Kind. Es war ihr immer streng verboten gewesen, diesen Raum ohne ausdrückliche Aufforderung zu betreten – und das hatte dann gewöhnlich irgendeine Bestrafung bedeutet. Als sie jetzt die ausgemergelte Gestalt so verloren in dem riesigen Bett sah, stand ihr fast das Herz still. Die knöchernen Hände, die verkrampft auf der Bettdecke lagen, konnten doch unmöglich dem gleichen stämmigen, breitschultrigen Krieger gehören, den sie aus ihren Kindertagen kannte.
»Ihr müßt müde sein, Mylady. Nehmt doch bitte Platz«, sagte Ranarl und wies auf einen gepolsterten Stuhl neben dem Bett.
Carilla setzte sich angespannt auf die äußerste Stuhlkante. Ihr Vater sagte nichts, und auch sie brachte kein Wort hervor. Schließlich brach Ranarl das Schweigen. »Ich muß ihn erst wieder aufwecken. Manchmal schläft er mitten im Satz ein. Seid also nicht erstaunt.« Mit einem ermunternden Lächeln richtete er den alten Mann in
Weitere Kostenlose Bücher