Das Wort des Hastur - 12
belegter Stimme.
»Seitdem ist hier nichts mehr, wie es früher war. Dom Garyths Gedanken sind verwirrt, und jetzt …« Ranarl verstummte.
Carilla seufzte schwer. Sie waren, wenn auch nur weitläufig, mit den Ardais verwandt, und ihre Mutter hatte immer, wenn sie sich über ihren Mann ärgerte, geschimpft, daß er genauso verrückt wie der Rest seiner Familie sei. Wenn aber einer wirklich verhaltensgestört war, dann Carilla älterer Stiefbruder Felix. Als Erstgeborener aus einer früheren Ehe hatte er Narrenfreiheit besessen. Schon als kleines Kind mußte Carilla erkennen, daß es zwecklos war, sich bei ihrer Mutter über die blauen Augen und Flecken zu beschweren, die Felix ihr regelmäßig verpaßte. Du hast doch sicher wieder angefangen, hatte ihre Mutter stets gesagt, und ihr Vater fügte stets hinzu: Jungs sind nun mal so. Geh ihm einfach aus dem Weg. Kein junger Bursche hat es gern, wenn das kleine Schwesterlein ihm ständig hinterherzottelt.
Aber es war ganz unmöglich gewesen, ihm aus dem Weg zu gehen. Was sie auch tat, wo sie auch war, immer hatte Felix sie aufgespürt und gequält. Aber selbst als er ihre Lieblingskatze als Zielscheibe für seine Schießkünste benutzt hatte, konnte ihr Vater nur lachen. Früh übt sich, wer ein Meister werden will. Und auf irgend etwas muß er ja zielen, stimmt’s? In der Scheune gibt’s noch genügend Katzen. Geh und hol dir eine andere.
Schließlich waren Felix und seine Kumpane auch für das ›Unglück‹ verantwortlich gewesen, das ihre Kindheit so jäh beenden sollte. Trotz all ihrer Vorsicht hatten sie Carilla eines Herbsttages allein in der Scheune überrascht und auf den Heuboden gezerrt. Sie hatte gebetet, sie möge lieber sterben, hatte zum Himmel gefleht, daß sie wenigstens nicht schwanger werden würde; aber ihre Gebete blieben unerhört. Verzweifelt hatte sie jedes Abtreibungsmittel, das ihr bekannt war, versucht – geheime Kräuter oder wilde Ausritte – aber nichts hatte geholfen. Als die Schwangerschaft nicht länger zu verheimlichen war, hatte sie sich ihrer Mutter anvertraut. Aber weder sie noch ihr Vater hatten ihr Glauben geschenkt.
Noch in derselben Nacht war sie davon gelaufen. Nur Ranarl und Mara hatten sie liebenswürdig behandelt. Der Coridom hatte darauf bestanden, daß sie ihr Pferd Dance mitnehmen sollte, und Mara hatte einen Korb mit Proviant gerichtet. Ganz zum Schluß hatte Ranarl ihr sogar noch einige Münzen in die Hand gedrückt. Die werdet Ihr sicher gut brauchen können, hatte er gesagt und sich dabei die Tränen aus den Augen gewischt. Nein, es ist nicht recht. Glaubt mir, ich kenne Euren Bruder nur zu gut – aber unseren Lord werden wir nicht umstimmen können. Ich hoffe nur, Ihr werdet in Sicherheit sein. Erst viel später hatte Carilla begriffen, welches Risiko die beiden damals eingegangen waren.
»Mylady«, unterbrach Ranarl sie in ihren Gedanken. »Ihr seid weit gereist. Wollt Ihr nicht wenigstens über Nacht hier bleiben?«
»Über Nacht? Ich glaube kaum.« Mit einiger Mühe wandte sie sich von den Bildern der Vergangenheit ab und der Gegenwart zu. »Aber gegen eine kleine Stärkung hätte ich nichts einzuwenden, und Greylock könnte auch etwas Futter vertragen. Es ist ein anstrengender Ritt gewesen. Nach Scaravel waren die Wege so rauh, daß ich mich schon fragte, ob wir es überhaupt schaffen würden.«
»Das wundert mich nicht. Das Wetter ist schon das ganze Jahr über sehr schlecht. Kaum ein Tag vergeht ohne Schneefall. Ich werde mich selbst um Euer Pferd kümmern. Und was Euch betrifft – nun, Mara steht schon seit heute morgen am Kochtopf. Wie Ihr bemerken werdet, haben wir jetzt nur noch wenige Diener, so daß Mara fast alles im Haus selbst erledigt. Ich fürchte, Ihr werdet vieles verändert finden, seitdem Ihr von uns gegangen seid.«
Mara empfing sie an der Tür. Nachdem sie sich die mehligen Hände an der Schürze abgewischt hatte, nahm sie Carilla stürmisch in die Arme. »Wie ich mich freue, Euch zu sehen«, erklärte sie weinend. »Wir haben uns solche Sorgen gemacht, daß Ihr nicht kommen würdet.« Dann musterte sie Carilla ausführlich und rief: »Eine stattliche Frau ist aus Euch geworden. Eine stattliche Frau!«
Carilla erwiderte ebenfalls unter Tränen die Umarmung. Mara war so dünn und zerbrechlich, daß Carilla sie kaum wiedererkannte. »Ich bin so schnell ich konnte gekommen, aber ich verstehe noch immer nicht …«
»Das werdet Ihr schon noch. Ranarl wird Euch später alles
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