Das Wort des Hastur - 12
Auster blickte mit seinen klaren, blauen Augen himmelwärts und schien die Botschaft des Liedes nicht zu vernehmen.
»Ihr habt recht, wir müssen wegen Bruder Auster etwas unternehmen«, meinte der Abt, als die Mönche nacheinander die Kapelle verließen.
Eine stinkende Talgkerze flackerte im Wind, der durch die undichten Fensterläden in die Klause des Abtes drang. Der Novizenmeister Randolph wischte ein paar Schneeflocken von seinem Stuhl und setzte sich. Auf seinem Schoß hielt er ein schweres, in schwarzes Leder gebundenes Buch. Draußen fegte der Wind durch die kahlen Äste. »Er hat sich keinerlei schwerwiegenden Bruch der Regeln zuschulden kommen lassen«, erklärte er fast schon empört. »Nichts außer ein paar geringfügigen Verstößen wie zu lautes Sprechen oder gelegentlich eine hartherzige Äußerung. Und auch das meist unbeabsichtigt.«
Der Abt faltete seine Hände. »Wer von uns wäre frei von dieser Schuld?« fragte er gütig. »Und nimmt er seine Buße mannhaft auf sich?«
Der Novizenmeister rutschte auf dem wackeligen Stuhl unruhig hin und her. Aus der Ferne war der Schrei eines Banshees zu hören. »Nicht nur das. Er beichtet immer sofort und legt sich selbst die härteste Strafe auf.«
»Das verrät einen gefährlichen Übereifer«, bemerkte der alte Mönch und strich sich dabei mit der blau geäderten Hand durch das dünner werdende, weiße Haar.
»Der Junge ist ein Fanatiker«, schnaubte Randolph barsch.
»Er hat aber auch sehr gelitten«, räumte der Abt besänftigend ein. »Wie verhalten sich denn seine Anhänger?«
»Er hält sie stets zu noch strikterer Einhaltung der Regeln an. Kein Genuß von Fleisch. Aber seine aufrührerischen Predigten …«
»… halten sich doch streng an die Doktrin«, stellte der Abt fest. Die beiden Mönche schauten sich im flackernden Kerzenlicht ratlos an. »jedenfalls kann er nicht hier bleiben. Andererseits haben wir keinen Grund, ihn auszuschließen.«
»Er ist ein begabter Prediger«, räumte der Novizenmeister ein und rieb sich dabei die Hände. »Und die Mißbräuche, gegen die er wettert, gibt es wirklich. Wenn ich nicht Repressalien gegen unseren Orden befürchten müßte, – und Ihr wißt selbst, wie schwach und verwundbar wir noch sind – wäre ich fast versucht, ihn auf die Comyn-Lords loszulassen. Sollen sie sich doch gegenseitig an die Gurgel gehen. Oder vielleicht gerät er ja auch mit einem dieser Halbmenschen aneinander, über die er herzieht. Das könnte ihm eine Lektion erteilen.«
Der alte Mönch schüttelte den Kopf. »Er stammt aus den Hellers, wo es genügend von diesen Kreaturen gibt.«
»Und wo nur ein toter Halbmensch ein guter Halbmensch ist«, meinte der Novizenmeister höhnisch. Dann kam ihm ein Gedanke, bei dem er fast schon bösartig lächelte. »Dort droben sind die Leute vom wahren Glauben noch weiter entfernt als selbst die Comyn, deren Götter ja immerhin vorgeben, Gutes zu bewirken. Wenigstens tun drei der vier das. Aber die Bewohner der Hellers beten ausnahmslos diese Feuergöttin an …«
Der Abt fing Randolphs Blick auf. »Ihr geht zu weit, Bruder. Und wer weiß, dieser Junge bringt es am Ende fertig, selbst die Bergbewohner von ihrem Dämonenglauben zu bekehren.«
Worauf der Novizenmeister nur hämisch spottete. »Und die Hundert Königreiche werden eins und legen auf ewig ihre Waffen nieder.«
Die glutrote Sonne Darkovers war noch nicht aufgegangen, als Bruder Auster bereits durch das Refektorium eilte und genauso geschäftig, wie er früher das Vieh auf der Farm seines Vaters versorgt hatte, jetzt die Schüsseln mit Porridge auf den Tischen verteilte. Während der Essenszeiten waren die Mönche von dem Schweigegelübde befreit, sodaß gedämpfte Stimmen den Raum erfüllten.
Auster schaute wie immer mürrisch drein, als er die Holzschüsseln auf dem ihm zugewiesenen Tisch abstellte und sich zum Gebet niedersetzte.
»Du weißt, Bruder Varzil«, wandte ersich dem jungen Postulanten zu, dem seine Predigt am Vortag so sehr in die Knochen gefahren war, »daß alles, was ich gesagt habe, wahr ist. Der heilige Lastenträger soll mich im Kadarin tränken, wenn ich nur ein Jota hinzugefügt habe. Aus Rücksicht auf die zarten Seelen der Jüngsten habe ich eher noch Dinge verschwiegen! Ich hab’ es selbst erfahren. Mein eigener Hochlandlord war keinen Deut besser als all die anderen. Das hat mich dann auch hierher getrieben, aus Angst, ich würde ihn sonst erschlagen, Hand an ihn legen, so wie das
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