Das Wort des Hastur - 12
schon früh auf. Der Sturm hatte sich fast ganz gelegt; wenn er an das Geheul der letzten Nacht zurückdachte, schien es ihm kaum vorstellbar, daß sie überhaupt ein Auge hatten zutun können. Doch jetzt flüsterte der Wind nur sanft in den Zweigen, und der Schnee fiel in dicken, trägen Flocken. Auch im Haus war es deutlich kälter geworden, und so beeilte sich Rafael, das Feuer wieder anzufachen und die Lampen anzuzünden. Dann setzte er Teewasser an, wärmte den Rest Suppe auf, der vom Vorabend übrig geblieben war, und räumte mit wenigen Handgriffen rasch die Stube auf. Wie oft hatten Darrel und er sich am Anfang wegen irgendwelcher Nachlässigkeiten gezankt! Herumliegende Sachen oder nicht abgeputzte Schuhe konnten schnell den Haussegen schief hängen lassen. Darrel beendete seine Vorhaltungen meist mit der scherzhaften Drohung, er müsse wohl doch noch eine Frau heiraten – die würde Rafe schon noch eine ordentliche Haushaltsführung beibringen. Wenn allerdings Darrel sich etwas zuschulden hatte kommen lassen, tat er dies nur mit der beiläufigen Bemerkung ab, sein Bredu solle nicht wegen jeder Kleinigkeit so pingelig sein …
Rafael hatte sein Bettzeug weggeräumt und war gerade dabei, sich die zerzausten Haare zu kämmen, als Erevan sich streckte und gähnte.
»Guten Morgen«, begrüßte ihn Rafe fröhlich mit einer höflichen Verbeugung. »Der Tee wird gleich fertig sein.«
Noch verschlafen erwiderte der Lord den Gruß und kroch aus dem Bett, aber spätestens, als er mit nackten Füßen den kalten Steinfußboden betrat, war er hellwach. Merkwürdig, dachte er, wie sich die Dinge doch gleichen: ganz egal, wo er genächtigt hatte, ob im primitivsten Unterstand oder im vornehmsten Herrenhaus, am Morgen nach dem Aufstehen war da immer diese Kälte. Er setzte sich ans Feuer, um sich die Hände zu wärmen, und war nicht schlecht erstaunt, als plötzlich eine Tasse Tee vor ihm stand. Er blickte auf, um sich bei Rafe zu bedanken, aber der saß bereits auf dem frisch bezogenen Bett und zog sich die Stiefel über.
»Ich muß mal rasch in den Stall und nach meinem Chervine sehen. Und natürlich auch nach Eurem Pferd.« Er bedeutete Erevan, es sich mittlerweile gemütlich zu machen, aber in seinen Worten klang ein trauriger Unterton mit. »Ihr könnt hierbleiben und Euch aufwärmen. Auch in einem Bett kann es manchmal ziemlich kalt sein, wenn man alleine schläft.«. Rafael erhob sich, trat fest auf, um rechten Halt in den Stiefeln zu finden, und wollte gerade hinaus gehen, als unvermutet etwas am Türriegel rüttelte.
Er beeilte sich, die Türe zu öffnen, und wich verblüfft zurück: Darrel lehnte lässig am Türpfosten und genoß es offensichtlich, das völlig verdatterte Gesicht seines Bredu zu sehen. Nachdem er sich etwas gefaßt hatte, zog Rafael den Freund an sich und mit ins Haus.
So früh schon? Gute Götter, dachte er plötzlich beklommen, wenn er jetzt schon hier ist, muß er die ganze Nacht durchgeritten sein! »Alles in Ordnung mit dir?« fragte Rafe und schloß hinter ihnen die Tür. »Bist du verletzt? Nichts erfroren?«
Der Größere von beiden schüttelte nur lachend den Kopf. »Mir geht es ausgezeichnet. Ich habe mich schon gestern morgen auf die Heimreise gemacht, wurde aber unterwegs vom Schnee überrascht. Die Nacht habe ich in dem kleinen Unterstand oben am Paß verbracht.« Darrel warf seine Satteltaschen achtlos auf den Tisch und ließ den schweren Mantel auf den Boden fallen. »Wem gehört das Pferd in unserem Stall?«
Rafael überhörte die Frage zunächst und schaute ihn vorwurfsvoll an. Als er ihn tadelte, klang seine Stimme gefährlich sanftmütig. »Dir gehört doch der Kopf auf meine Mistgabel gepflanzt! Bei solch einem Sturm loszureiten! Wie konntest du nur so etwas unvernünftiges tun?« Rafe seufzte und mußte doch auch schmunzeln. Mehr als einmal war er zu dem Schluß gekommen, sein Mann sei verrückt – warum sollte es ihn also jetzt besonders überraschen?
»Ich sag dir doch, es geht mir ausgezeichnet«, wiederholte Darrel strahlend. Dann fiel sein erstaunter Blick auf Rafaels Gast.
»Dom Erevan! Euch habe ich ja schon lang nicht mehr gesehen!«
Erevan verbeugte sich leicht zum Gruß. Damit war seine Neugierde also zufrieden gestellt: er kannte diesen Diener tatsächlich. »Ja, es ist schon eine Weile her. Bei der Hochzeit meiner Cousine Lenorie, wenn ich nicht irre.«
Darrel grinste fast schon unverschämt. »Oh ja, ich kann mich noch gut an das Fest erinnern. Und
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