Das Wort des Hastur - 12
dankend in die warme Stube.
»Darf ich Euch behilflich sein,« bot sich Rafael dienstfertig an und half dem jungen Adligen aus dem schweren Mantel. Dann reichte er ihm ein Handtuch, um sich damit die Haare zu trocknen. Innerhalb weniger Minuten hatte Rafe seinem Gast die Stiefel ausgezogen, ihm eine warme Decke gebracht und es dem Fremden am Feuer gemütlich gemacht.
Vom Tee, den Rafael früher aufgesetzt hatte, war noch etwas übrig geblieben, so daß er jetzt seinem Gast eine heiße Tasse anbieten konnte.
»Hier, vai Dom, trinkt. Das wird Euch schnell wieder auftauen.« Rafael reichte ihm freundlich die Tasse.
»Auch dafür danke ich dir. Aber laß doch bitte diese förmlichen Titel weg. Mein Name ist Erevan.«
Die Namensnennung schuf größere Vertrautheit, und Rafaels anfängliche Reserve schmolz so schnell dahin wie ein Eiszapfen im Feuer. »Und ich heiße Rafael«, stellte er sich seinerseits vor. Gar zu gern hätte er erfahren, was den Adligen zu so später Stunde hierher gebracht hatte. Aber natürlich hätte er sich nie getraut, einen Lord direkt nach seinen Angelegenheiten zu fragen. Auch damit hatte Darrel ihn oft genug aufgezogen. Gegenüber Höhergestellten war Rafael immer schrecklich schüchtern und förmlich, immer darauf bedacht, auch ja die richtige Anrede zu wählen. Darrel hingegen kümmerte sich kaum um solche Etikette; er fragte unbekümmert drauflos und schien sich fast nie Sorgen zu machen, er könne einen der hohen Herren zu nahe treten.
Rafael wandte seine Aufmerksamkeit erneut dem Gast zu. »Ist Euer Pferd in unserem Stall gut untergebracht, Erevan?« Er betonte den Namen besonders sorgfältig. Dieser nickte und nahm einen Schluck Tee.
»Ja, danke. Ich habe genügend Wasser und Heu vorgefunden. Nochmals Dank dafür.«
»Nichts zu danken«, wehrte Rafael mit einer Handbewegung ab und blickte still vergnügt aus dem Fenster. Glück gehabt, mein Chervine – jetzt brauchst du die Nacht doch nicht fröstelnd und allein verbringen! Dann setzte er sich neben den Lord ans Feuer.
Dieser gestand jetzt leicht verlegen ein, daß er sich im Sturm wohl verirrt hatte. »Und dabei habe ich gedacht, sei ein Leichtes, den Weg zum Gut meines Cousins zu finden. Bin ich überhaupt noch auf der Straße nach Armida?«
Rafael gab bereitwillig Auskunft. »Die Straße verläuft nördlich von hier. Dann ist es noch knapp ein Tagesritt nach Nordosten. Ich nehme an, Ihr wollt zum Feiertag dort sein?«
»Richtig, zum Mittwinterfest«, bestätigte Erevan und trank seine Tasse leer.
Höflich lud Rafael ihn daraufhin ein, etwas von der Suppe zu probieren. Erst jetzt merkte er, wie sehr ihm selber der Magen knurrte, da er den ganzen Tag übel kaum etwas gegessen hatte. Erevan nahm dankbar an, als Rafael ihm ein Schälchen mit der heißen Rabbithorn-Brühe vorsetzte.
»Ausgezeichnet«, meinte er nach dem ersten Schluck anerkennend. »Mein Kompliment an deinen Koch.«
»Das Kompliment darf ich beanspruchen«, lachte Rafael. »Ich bin hier der Koch.«
»Lebst du denn allein?« fragte Erevan leicht verunsichert. Er konnte die Anwesenheit eines dritten spüren – und diese Anwesenheit wärmte den Raum ebenso sehr wie das Feuer. Wenn man sich in dem Häuschen umblickte, war es nicht schwer zu erraten, daß noch jemand hier leben mußte: da waren zum Beispiel die beiden Stühle an dem kleinen Holztisch, und auch das niedrige Bett in der Ecke wurde ganz offensichtlich von zwei Menschen benützt.
Rafael schüttelt den Kopf. »Nein, ich bin nicht allein. Ich lebe hier mit …« Erschrocken brach er ab. Sollte er es wirklich aussprechen? Er schämte sich schon längst nicht mehr seiner Veranlagung oder ärgerte sich darüber, wie ihn einige Leute hinter vorgehaltener Hand nannten. Aber einem völlig Fremden gegenüber diese schockierende Tatsache so einfach einzugestehen, war etwas anderes. Und doch … Er betrachtete seinen Gast. Erevans Haare waren inzwischen ganz getrocknet, und seine kupferroten Strähnen schimmerten im Widerschein des Feuers. Er war ein Lord, und so verfügte er auch über all jene Zauberkräfte, die das rote Haar verhießen. Er besaß zweifellos Laran – jene Fähigkeit, die Gedanken der anderen wahrzunehmen … Warum also dieses Versteckspiel? Sicherlich hatte Erevan längst alles erraten! Dennoch wählte Rafael lieber die am wenigsten anstößige Formulierung.
»Ich lebe hier mit … einem Freund.« Er lächelte erleichtert, als es endlich heraus war. Und leicht verschämt wandte er sich
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