Das Wuestenhaus
wie zwei rot glühende Kohlestücke aussahen. Meine Mutter sagte, das Bild sei schrecklich, er solle es bitte löschen.
»Nun sei doch nicht so ungeduldig.« Er versuchte es von Neuem. Wieder stellte sich mein Vater etwas entfernt von uns auf, während meine Mutter sich an das Boot lehnte. Es wehte nun ein stärkerer Wind von der See her. Meine Mutter winkte mir zu. Ich ging zu ihr und drückte mich an sie, indem ich den Kopf auf ihre Brust legte. Ich kann jetzt noch den Duft ihres Körpers riechen, den weichen, warmen Duft ihrer Haut. Sie legte vorsichtig ihre Arme um mich. Wie wunderschön sind die vom Wind zerzausten Haare meiner Mutter auf diesem Bild.
In den nächsten Tagen mieteten wir uns ein Auto, fuhren über die engen, im Morgenlicht liegenden Straßen und sahen uns die Insel an.
Mein Vater fotografierte mit seiner neuen Kamera nahezu alles, was ihm wert erschien, festgehalten zu
werden. Ich sehe ihn vor mir, wie er, die Augen schützend mit der Hand bedeckend, in den Ruinen der Wohnhöhlen von Midoun hockt, die Stufen hinabgeht, halb kniend den Eingang betrachtet, wie er vor einer Moschee mit dem Zeigefinger das verschlungene Muster eines Bodenmosaiks nachfährt, oder am Strand einen Krebs fotografiert, der im Plastikeimer eines alten Mannes mit seinen Scheren gegen die enge Hülle seines Gefängnisses klopft.
Wäre es nach ihm gegangen, hätten wir alle religiösen Stätten besucht.
Er wollte alles über die Geschichte der verfallenen Gebäude und Ruinen erfahren, über die Geschichte der Menschen, die hier gelebt hatten. Sobald einer der Einheimischen etwas Englisch sprach, unterhielt sich mein Vater mit ihm, ließ sich erklären, was die spezifischen religiösen Traditionen auf der Insel seien, erkundigte sich nach Orten, die eine Besichtigung lohnten. Meine Mutter hatte jedoch bald genug davon, ihren ganzen Körper einpacken zu müssen »wie eine Mumie« . Außerdem gefiel es ihr nicht, dass mein Vater sein Schweigen ihr gegenüber durch die ständigen Gespräche mit Einheimischen zu verstecken versuchte.
Mein Gesicht glühte von der Sonne.
Nach der Rückkehr ins Hotel stand ich minutenlang vor dem Spiegel in meinem Badezimmer und cremte mir zögerlich das Gesicht ein; die Creme wirkte wie ein kühler Balsam, der sich auf die brennenden Hautschichten legte. Ich tupfte mir mit der
Fingerspitze weiße Cremeflecken auf die Stirn und stellte mir vor, dass ich eine der alten zaubermächtigen Frauen sei, von denen wir gehört hatten, dass sie früher auf der Insel gelebt und die Gabe besessen hatten, den »bösen Blick« abzuwehren - nur durch ihre Anwesenheit und durch die Kenntnisse alter ritueller Formeln, die sie bei Gelegenheit hervormurmelten, beherrschten sie diese Gabe.
Meine Augen jedoch, glaubte ich, waren vollkommen ohne jede Zauberkraft. Ich wünschte mir, ich hätte den Mut, mit diesen weißen Flecken auf der Stirn, die ohnehin rasch verblassen und verschwinden würden, unten in der Hotellobby oder gar im Restaurant aufzutauchen und Fragen zu provozieren, ohne auch nur ein Wort der Erklärung abzugeben.
Ich dachte an Hannah und Sonja in Freiburg, an das von unserem gemeinsamen Lachen erfüllte Kaffeetrinken auf dem kleinen Vorplatz mit den Pflanzenkübeln, an den zotteligen Hund zu meinen Füßen, an die Fotos von Dänemark und an das Gefühl der Vorfreude, bald alle Dinge meines Lebens allein und selbstbestimmt entscheiden zu können.
Dann beobachtete ich mich selbst, wie ich mit den Fingern die Creme auf der Stirn verrieb - als gehöre das Gesicht dort im Spiegel zu jemand ganz anderem, einem unbekannten Menschen.
Am Abend aßen wir im Hotel. Das Restaurant befand sich in dem rückwärtigen Glasanbau, der einem das Gefühl gab, langsam aufs Meer hinauszutreiben.
Mein Vater meinte, die Kellner seien kolonialistisch gekleidet. Sie würden sich auch so benehmen. Ich hatte keine Ahnung, was er mit »kolonialistisch« meinte. Mir fiel nur auf, dass alle sehr distanziert wirkten und darum bemüht waren, offenbar unter dem strengen Einfluss des Chefkellners stehend, die Gäste möglichst leise und unauffällig zu bedienen. Wahrscheinlich sollte auch hier der Unterschied zu den nahe gelegenen, großen touristischen Hotels mit ihrem lauten Massenbetrieb betont werden. Nur einer der Kellner, ein schlanker, hochgewachsener Araber, der Tamir hieß, unterhielt sich mit uns, sobald er sich unbeobachtet glaubte.
Tamir sprach ausgezeichnet Deutsch. Ich mochte ihn sofort. Mir gefiel die Art, wie
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