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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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er an unseren Tisch kam, mir zuzwinkerte und Wasser in mein Glas goss, dabei lächelnd die Augen schloss, ohne dass ein Tropfen danebenging.
    Zu meinen Eltern war er besonders zuvorkommend, wobei er es vermied, auf die freundschaftlich gemeinten persönlichen Fragen meines Vaters näher einzugehen. Ein Teil seiner Familie lebe in Deutschland, sagte er, und er habe eine Weile in Erfurt studiert, wobei er uns nicht sagen wollte, was er da studiert hatte. Er lachte: »Ich habe alles vergessen.«
    Mein Vater war unglücklich, weil er sonst immer jemanden im Urlaub gefunden hatte, mit dem er sich unterhalten konnte. Diesmal war außer einem sehr viel älteren deutschen Ehepaar, das uns auf dem Weg zu ihrem Tisch jedes Mal höflich grüßte, niemand aufgetaucht, der ihn interessierte. Er sprach das Ehepaar
an, erkundigte sich, woher sie kamen, merkte aber schnell, dass die beiden für sich bleiben wollten.
    Ich spürte, wie unausgeglichen er war. Abends kam er oft zu mir ins Zimmer, las mir etwas aus einem seiner Bücher vor und fragte, was ich darüber denke. »Ich mag es, wenn du vorliest.«
    »Mehr nicht?«
    »Warum liest du Mama nichts vor?«
    »Misch dich bitte nicht ein. Es ist alles gut. Wir brauchen lediglich ein wenig Zeit.«
    Meine Mutter tat hingegen so, als sei alles in bester Ordnung. Sie amüsierte seine »kleine Einsamkeit«, wie sie es nannte.
    Sie versuchte ihn so oft wie möglich zu überreden, mit ihr schwimmen zu gehen. Manchmal am Strand, wenn sie im Wasser waren, gefiel es mir, auf meinem Handtuch zu liegen, die Augen halb zu schließen und, schwach mit den Augen blinzelnd, die beiden wie durch einen schimmernden und zitternden Vorhang zu beobachten. Ihre weißen Rücken, wenn sie in das glitzernde Wasser rannten, ihre Wettschwimmerei und ihr lautes Sich-nass-Spritzen - was sie vor allem dann gern taten, wenn sie glaubten, andere Leute beobachteten sie - waren in dieser Sichtweise wie verlangsamte Bilder.
    Mein Vater hob meine Mutter im Wasser hoch und trug sie wie eine Trophäe an den Strand. »Hier kommt unsere Venus aus dem Meer.«
    Nichts war davon zu spüren, dass ihr beider Leben bald beendet sein würde. Keine Vorahnung, keine
Anzeichen einer Bedrohung, keine innere warnende Stimme, die mich beunruhigt hätte, sosehr ich später auch nach solchen Signalen gesucht habe.
    Mein Vater wurde während des gemeinsamen Frühstücks zunehmend einsilbiger, während meine Mutter ihre gute Laune sichtlich genoss. Manchmal machten wir uns sogar ein wenig über ihn lustig, indem wir ihm mit dem Zeigefinger vorsichtig über die Stirn fuhren. »Was ist das nur für ein Graben?«
    Vielleicht hätte er sich ernstlich in eine verzweifelte Übellaunigkeit hineingesteigert, wenn nicht Sie gekommen wären, der Stein, der alles ins Rollen brachte, wie man so schön sagt, was in der Folge geschah.
    Die drei Tage Ihrer Anwesenheit haben meinen Vater wirklich glücklich gemacht.
    Ich meine »glücklich« im Sinne des wunderbaren Zufalls, den Sie in seinen Augen darstellten. Er hatte gespürt, dass er sich mit Ihnen würde unterhalten können. Als er dann noch erfuhr, dass Sie für die Zeitung arbeiteten, die er als Student in Berlin gelesen hatte, lebte er richtig auf. Auch meine Mutter begeisterte sich sofort für Sie.
    Als ich Sie das erste Mal sah, trugen Sie ein schwarzes Polohemd, eine Jeans und hatten ihr Jackett über einen Metallrollkoffer gelegt. Ich sah Sie in der Hotellobby. Das Licht lag mit dieser schönen morgendlichen Helligkeit auf den Tischen und den glänzenden Mosaikkacheln; auf dem Bildschirm in der Lobby lief ein Film mit Michael Douglas. An der Decke über der
Rezeption drehten sich langsam die Flügel des großen silbernen Ventilators.
    Sie sprachen mit Tamir auf Französisch. Ich verstand, dass irgendetwas mit der Zimmerbuchung schiefgegangen war. Sie waren braun gebrannt und legten sich beim Reden die Hand in den Nacken oder strichen mit der flachen Hand über Ihren gepflegten Dreitagebart.
    Tamir wurde nervös, redete erst mit dem Mädchen am Tresen, rief dann seinen Chef an, schnell arabisch sprechend, während Sie ganz ruhig, als hätten Sie so eine Situation schon hundertmal erlebt, in einem der dicken Ledersessel in der Lobby Platz nahmen und mit jemandem telefonierten. Sie wirkten ein wenig erschöpft, lachten aber immerzu am Telefon und sagten: »Halb so schlimm. Hier kann ich das Warten aushalten. Ich bin im Grunde unsichtbar hier; die Leute im Hotel wollen nicht mal eine Anmeldung von

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