Das Wuestenhaus
mir.« Als Sie mich sahen, hielten Sie einen Moment inne und lächelten mir zu.
Dann erschien Tamir mit den Schlüsseln, entschuldigte sich mehrmals für die Unannehmlichkeiten, während Sie mit einer einzigen Bewegung des Kopfes deutlich machten, dass Sie mit allem einverstanden seien. Sie blieben noch einen kurzen Moment sitzen und strichen sich mit den Handinnenflächen mehrfach über das Gesicht, als wollten Sie sich selbst davon überzeugen, dass Sie angekommen waren.
Das zweite Mal sah ich Sie am Abend im Speisesaal, wo Sie sich an einen Tisch in unserer unmittelbaren
Nähe setzten. Sie grüßten beiläufig meine Eltern, warfen mir einen kurzen Blick zu, dann studierten Sie die Speisekarte.
Später kam es mir so vor, als ob Sie nur den Konzentrierten spielten. Im Grunde waren Sie es, der das Gespräch suchte, vielleicht weil Ihnen alleine langweilig im Hotel war. Es ist auch gleichgültig warum. Mein Vater hatte sofort gemerkt, dass Sie Deutscher sind. Auf Ihrem Tisch lagen neben dem Zimmerschlüssel deutsche Zeitungen. Ich weiß nicht mehr, wie genau die Kontaktaufnahme an diesem Abend zustande kam. Ich weiß nur: Nach dem ersten Martini-Soda saßen Sie an unserem Tisch.
»Es ist hier wärmer, als ich vermutet hatte. Die Hitze hat etwas Drückendes.«
Meine Mutter lächelte ironisch. »In Deutschland ist den Leuten zu kalt, und hier ist es ihnen zu warm. Das Wetter ist immer schuld.«
»Sie haben recht, ich sollte es genießen. Ich bin noch nicht richtig angekommen.«
Sie bestellten sich einen weiteren Martini-Soda und sahen durch die Glasscheiben der Veranda. »Das Meer hat selbst im Dunkeln noch etwas Gewaltiges, finden Sie nicht? Sind Sie das erste Mal auf der Insel?«
Mein Vater lehnte sich leicht nach vorn: »Ja, aber ich habe das Gefühl, als ob ich hier schon einmal gewesen wäre. Alles wirkt so vertraut auf mich. Meine Tochter lacht mich schon aus, weil ich jeden Tag hundert Bilder und Notizen mache.« Er streichelte mir kurz über die Hand.
»Das verstehe ich gut. Die Insel hat Zauberkräfte.«
Ich kannte Menschen wie Sie vorher nicht. Es gefiel Ihnen, dass Sie aus einer ganz anderen Welt kamen als meine Eltern. Ein Journalist, der über andere Länder schreibt, ständig unterwegs, mit Hunderten Menschen verbunden. Und es reizte Sie noch mehr, diesen Unterschied klein zu halten. Wissen Sie, wie Sie das Herz meines Vaters gewonnen haben? Indem Sie nichts von sich erzählten! Fast nichts. Nur die so nebenbei und auf Nachfrage gegebene Information, dass Sie für die und die Zeitung schrieben, kürzlich einen Reportagepreis gewonnen hätten, eigentlich auf dem Weg nach Berlin und ziemlich enttäuscht, dass Sie heute einen Rückschlag in Ihrer Arbeit erlitten hätten, wo Sie doch im Grunde noch ganz am Anfang stünden, noch ohne die Erfahrung unterwegs seien, die andere Kollegen haben. Ihr Interviewpartner, ein ägyptischer Schriftsteller, habe Sie nach den ersten Interviewstunden versetzt und halte Sie nun auf der Insel fest. Sie hätten noch nicht genügend Material, um abzureisen. Das war genau der richtige Ton, um meinen Vater zu begeistern.
Mein Vater fragte Sie, ob Sie die arabische Welt gut kennen würden.
Hätten Sie an der Stelle nur ein wenig den Experten gespielt, zumindest einen Wissensvorsprung aufgrund Ihres Berufes vorgezeigt, wäre nicht passiert, was in der Folge geschehen ist. Stattdessen sagten Sie, Nein, Sie seien gewiss kein Experte, nur jemand, der gern reise. Sie schrieben das Porträt über den ägyptischen
Schriftsteller, der sich gerade auf der Insel aufhalte. Der Mann werde bald einen bedeutenden Preis bekommen. Zum Glück könne der Ägypter Deutsch, denn er habe eine längere Zeit seines Lebens in Hamburg verbracht, ein umgänglicher, freundlicher Mann. Dann hielten Sie einen Moment inne: »Ich bin heute Nacht erst aus Tunis gekommen. Eine faszinierende Stadt, für die man mehr Zeit bräuchte, um ihre Situation zu verstehen. In den vergangenen Tagen hieß es überall, dass Unruhe in bestimmten Kreisen dort herrsche, wahrscheinlich hängt das mit Fehden zwischen lokalen Gruppen zusammen, aber all das ist für uns als Fremde kaum zu verstehen. Darf ich Sie zu einer Runde Martini einladen?«
Als die Gläser kamen, sah ich, wie Sie uns unauffällig beim Trinken beobachteten.
Ich sage nicht, dass Sie Schuld haben. Sie und Ihr Verliebtsein in Geheimnisse. Ich gebe niemandem die Schuld. Aber Sie haben Anteil an dem, was passiert ist, Sie sind ein Teil davon, wenigstens
Weitere Kostenlose Bücher