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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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hatte, Maja etwas über meine früheren Gefühle gegenüber meinem Bruder zu äußern. Gleichzeitig war ich erleichtert, weil ich spürte, wie lange ich über diese Dinge nicht mehr gesprochen hatte. Angelegenheiten, wie sie in jeder Familie vorkommen, nichts Tragisches, nichts, wofür man nicht einen Namen oder eine Erklärung hätte finden können …
    Ich sah mich im Restaurant um und entdeckte ein großes, beleuchtetes Aquarium, in dem längliche gelbe Fische schwammen. Plötzlich wurde die Beleuchtung ausgeschaltet. Die Fische schienen in der Dunkelheit zu erstarren.
    Ich bestellte die Rechnung.
    Es war gut, dass Maja abgelenkt war von den Geschehnissen des Tages. Sie lachte aufgesetzt und sagte, mit dem Kopf in Richtung Aquarium weisend: »So kann man Leuten auf ganz subtile Art und Weise das Signal geben, zu gehen.«
    Sie trank den letzten Schluck des fast schon strohfarbenen Tees in ihrer Tasse, dann sagte sie: »Wusstest du, dass sich die Männer, die sie suchen, vor einem Anschlag per Telefon verständigen?«
    »Nein, das wusste ich nicht.«
    »Sie sagen sich manchmal Gebete auf, hat mir die Dolmetscherin erzählt. Und in diesem Gebet ist dann das entscheidende Wort versteckt, das den Betreffenden losschickt, damit er seinen Auftrag ausführt.«

    »Das ist unheimlich.«
    »Ich denke die ganze Zeit darüber nach, ob es in unserem Fall nicht auch solche Codewörter gegeben hat.«
    »Wie meinst du das?«
    »Mein Vater ist auch losgerannt, sobald er auch nur ein Wort über diese Synagoge gehört hat. Wir sind ja nur wegen ihm hingefahren.«
    »Maja, bitte! Fang nicht wieder mit dieser fixen Idee an! Du hast dich da in etwas verrannt. Die Schuldigen sitzen offensichtlich hier in dieser Stadt. Du hast doch die Fotos gesehen! Hör auf, dich mit dem Mann in Berlin zu befassen!«
    Sie sah mich erstaunt an; ihr Blick in diesem Moment war mir fremd und auch ein wenig unheimlich, weil ich spürte, dass meine Argumente sie nicht erreichten.
    »Du verstehst mich nicht. Um ihn geht es gar nicht. Die ›großen Flüsse, die sich kreuzen‹, die ›Stille der weiten Plätze‹, ›Orte, die verschwinden‹, all das. Im Grunde ist es egal, wer es gesagt hat. Er wäre so oder so losgerannt.«
    »Weißt du, was ich glaube, Maja?«, sagte ich zu ihr. »Du hängst mehr an diesem Mann, als du denkst. Weil er deine Eltern gekannt hat, weil ihr diese letzten Tage gemeinsam auf der Insel verbracht habt. Er war dabei, nicht ich, nicht Hannah und Sonja, sondern er. Du hältst ihn für schuldig, und zugleich vertraust du ihm - das ist verrückt. Ich bin sicher, er ist wegen dir hierhergekommen. Warum gibst du es nicht einfach zu?«

    »Willst du, dass ich ihn herhole, damit ihr zwei bei einem Glas Wein über alles reden könnt? Das ist nicht dein Ernst. Glaub mir, es wäre peinlich. Für uns alle.«
    Sie öffnete einen der Glückskekse, die auf dem Tisch lagen, zog das Papier heraus, ohne es zu lesen, und drückte es langsam zu einer Kugel zusammen.
    »Bernhard, vielleicht hast du recht. Ja, er war damals dabei und niemand sonst. Und das Schlimme ist …« Dann brach sie den Satz ab, aber ich glaube, dass sie in diesem Moment an Sie dachte.
    Maja bezahlte die Rechnung. Wir ließen uns Zeit mit dem Rückweg und liefen noch eine Weile durch das angrenzende Viertel. Maja war spürbar erleichtert, dass der Aufenthalt im Restaurant vorbei war.
    Bei unserer Ankunft im Hotel bemerkte ich, dass niemand an der Rezeption saß.
    Es war eines jener Häuser, die erst ab sechs Uhr morgens wieder mit regulärem Personal besetzt werden. Maja ging ins Bad. Einige Male flammte mit einem hellen Fiepton das Display ihres Telefons auf. Sie erschien kurz darauf im Bademantel, holte sich ein zweites Handtuch, las die Nachrichten und rubbelte sich ihren Kopf mit den kurz geschnittenen braunen Haaren trocken. Ich fragte sie, warum sie sich ihre Haare nicht wieder wachsen lasse.
    »Ich weiß nicht. Es ist noch nicht so weit«, sagte sie.
    »Deine Haare waren früher so schön. Dieser Bubikopf steht dir nicht.«

    Sie zog sich ein T-Shirt an und wandte sich mir zu. »Doch, das bin ich.«
    Sie legte sich auf das Bett und schaltete den Fernseher an. Sie suchte nach einem Musiksender. Ihre Kleider hatte sie ordentlich über einen Stuhl gebreitet. Dann zeichnete sie noch eine Weile in ihrem Skizzenbuch herum, tippte Nachrichten in ihr Telefon, wobei sie immer wieder einen Blick zu mir herüberwarf, während ich versuchte, die Flasche Bier aus der Minibar zu

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