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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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erlebt, dass er in Gegenwart anderer darüber gesprochen hat, dass er sich nicht nur für Literatur,
sondern auch für Geld interessiert hat. Es war ihm peinlich.«
    Ich bestellte noch ein weiteres Bier und einen Schnaps. »Es war ihm nicht peinlich. Hätte er genug Geld gehabt, wäre er nicht Lehrer geblieben.«
    »Doch, es war ihm peinlich! Er hat sich geschämt, zu den Leuten zu gehören, die wissen, wie man die richtige Vorsorge trifft. Er hat euer Leben gegen alle Gefahren abgesichert. Deine Mutter hat mir sogar mal erzählt, dass er, als sie wegen der Sache mit der Adoption gestritten hatten, etwas von unabsehbaren Kosten gesagt hat.«
    »Du weißt sehr genau, wie großzügig er war. Er hat jedem, der darum gebeten hat, etwas geliehen. Geld hat ihm doch gar nichts bedeutet.«
    Ich sagte ihr, dass ihm bestimmte Seiten des Geldes sehr wohl etwas bedeutet hätten. Ich erinnerte mich daran, wie gern er das verheimlicht hat. »Einmal, es muss irgendwann nach 1989 gewesen sein«, sagte ich zu ihr, »hatten deine Eltern Besuch von Freunden aus Erfurt. Weißt du, was dein Vater getan hat, ehe sie eintrafen? Er hat den kleinen nagelneuen Renault, den er damals deiner Mutter gekauft hat, bei uns in Kehl geparkt und irgendeine Ausrede gefunden, warum er mit dem Zug zurückfahren müsse. Ich brachte ihn zum Bahnhof in Kehl. Er erzählte mir eine Unmenge Dinge aus seiner Schule, was sonst nicht seine Art war, nur damit ich nicht auf die Idee kam, nachzufragen, was die Geschichte mit dem Auto bedeuten sollte. Ich wusste sofort, was der Grund war: Die
Freunde sollten denken, er würde nur den alten Ford besitzen, der ja auch zu diesem ›Eigentlich sind wir ganz gewöhnliche Leute‹ - Spiel gehörte. Er wollte die Freunde auf ›Augenhöhe‹ begrüßen, wie er so gern sagte. Und dafür mussten blitzschnell ein paar Dinge verschwinden. Das war seine Art von Luxus.«
    Maja sah mich wütend an. »Das bildest du dir ein. Das hatte sicher einen völlig banalen Grund, dass er das Auto bei euch stehen gelassen hat.«
    »Weißt du, was er den dankbaren Erfurtern geschenkt hat? Konzertkarten für das Rolling-Stones Konzert in Köln. War das nicht sensibel?«
    »Auch wenn du es nicht glaubst, Sven und Anne haben sich damals sehr darüber gefreut.«
    »Ja, natürlich. In diesem Geschenk steckte ja der ganze Glanz der freien Welt. Was für ein Angebot, nach so vielen Jahren in einem abgeriegelten Land, die Rolling Stones live hören zu können! Glaub mir, an deren Stelle wäre ich nicht hingefahren. Ich wäre mir so klein vorgekommen. Ich sage dir, ich hätte mir die Karten irgendwohin in ein besonderes Fach gelegt, aber keine Macht der Welt hätte mich nach Köln gebracht.«
    »Du bist ungerecht, Bernhard.«
    »War er mal mit ihnen essen? Hat er mal einen ganz gewöhnlichen Abend mit ihnen in einer Kneipe irgendwo im Ort bei euch verbracht? Ich würde eine Wette eingehen, dass er sie nur bei euch zu Hause gesehen hat, sie konnten natürlich alles benutzen, natürlich, kein Problem, sie sollten sich selbstverständlich
wie zu Hause fühlen, ein kurzes Abendessen, ein Glas Wein trinken und Empfehlungen geben, was sie sich am nächsten Tag im hübschen Freiburg ansehen könnten, und dann gute Nacht, liebe Freunde, schön, dass ihr da seid!«
    »Das stimmt nicht - und du weißt es. Er saß jeden Abend in seinem Zimmer, hat Schularbeiten korrigiert und seine Geschichten geschrieben. Er hat nie so mit Leuten gesprochen.«
    »Vielleicht. Es ist auch nicht richtig, dass ich mit dir darüber spreche.«
    »Warum bist du plötzlich so aggressiv?«
    »Lass uns aufhören, darüber zu sprechen. Erzähl mir lieber, wie es dir bei Hannah und Sonja geht.«
    »Sie sagen jedenfalls nicht solche Dinge. Und weißt du, warum? Weil sie Menschen ohne jeden Neid sind.«
    »Gefällt es dir so sehr bei den beiden?«
    »Ohne sie hätte ich die letzten Jahre nicht durchgestanden.«
    »Ich habe es vorhin nicht so gemeint.«
    »Reden wir nicht mehr darüber. Letzte Woche haben wir mit Sonja und Hannah mein Zimmer renoviert. Du musst uns unbedingt mal wieder besuchen. Das Fenster geht auf die Südseite. Ich habe fast immer Sonne. Es gibt sogar einen winzigen Balkon mit einem Drahtwindspiel, das wir selbst gebaut haben. Sobald Wind aufkommt, klirrt es wie verrückt.«
    »Mir graut vor eurem Hund. Du weißt, ich mag keine Hunde.«

    »Paul? Der ist so alt, der lässt sich mittlerweile von jeder Katze vertreiben.«
    Ich ärgerte mich, dass das Bier mich verleitet

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