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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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halten.
    Maja war bestens gelaunt; sie drehte am Radioknopf, suchte nach deutschen Sendern und klappte den Sitz nach hinten, wobei sie sagte: »Stört es dich, wenn ich noch ein bisschen schlafe? Ich genieße die Rückfahrt im Liegen.«
    Kurz vor Metz hielten wir an einer Raststätte an; es war früher Nachmittag. Ich brauchte dringend einen starken Kaffee. Wir saßen im Wintergarten des Restaurants, vor dem die zwischen den Parkplätzen und dem Restaurant hin und her eilenden Leute zu sehen waren. Ich bestellte Kaffee und ein Steak, während Maja wieder nur Salat aß. Sie war schneller fertig als ich und beobachtete mich beim Essen. »Es war wirklich gut, dass du mit nach Paris gekommen bist. Ohne dich wäre alles viel schwieriger gewesen.«

    Ich war überrascht und sagte: »Ich weiß nicht, ob ich wirklich eine Hilfe war.«
    Dann fragte sie mich, ob ich ihr eine Bitte erfüllen würde: »Ich würde gern noch einmal in unser altes Haus fahren, ehe es verkauft wird.«
    Ich schlug ihr das nächste Wochenende vor. »Ich würde am liebsten heute fahren. Jetzt gleich.« Ich sagte ihr, dass Sabine zu Hause warten würde. »Könntest du sie nicht anrufen? Es ist mir wirklich wichtig. Ich muss unbedingt etwas aus dem Haus holen, das nicht länger dort bleiben darf.«
     
    Am späten Nachmittag bogen wir in die Garageneinfahrt.
    Das Haus hatte sich nicht verändert, sauber und unauffällig stand es in dieser Straße wie seit jeher. Lediglich auf dem Gartenweg hatten sich Schmutz und Dreck angesammelt; einige der Bäume waren noch nicht abgeblüht.
    Maja schloss die Tür auf; im Flur lagen Werbebroschüren, die irgendjemand durch den Türschlitz geschoben hatte. Sie stieg über sie hinweg und lief zu der großen Glasveranda, die hinaus in den Garten führte. Langsam setzte die Dämmerung ein.
    Neben dem Schuppen lag das Netz für die Badmintonstangen. Das Gras war hochgeschossen.
    Im Haus selbst roch es nach Reinigungssubstanzen.
    Die Frau, die einmal im Monat kam, um nach dem Haus zu sehen, Frau Siebers, eine ältere Dame
aus der örtlichen Kirchengemeinde, hatte alles tadellos hinterlassen.
    Die restlichen Tische und Stühle aus dem Wohnraum im Erdgeschoss, die verbliebenen Möbel aus Majas Zimmer und Teile des Bads standen in große Cellophanhüllen verpackt im Flur. In der blank geputzten Küche prangte auf dem massiven Kirschholztisch, der als Anrichte gedient hatte, ein langstieliger Strauß gelber Margeriten. Ich fragte mich, warum die Frau, die doch nichts mit unserer Familie verband, den Strauß dort hingestellt hatte.
    Wenig später klingelte es an der Tür. Ich ging durch den Flur und öffnete. Frau Siebers. Die alte Dame stand in einem engen dunklen Kleid in der Tür, und es schien ihr peinlich zu sein, uns zu stören. »Ich habe von meinem Fenster aus gesehen, dass ein Auto vor dem Haus geparkt hat. Entschuldigen Sie, dass ich nicht gleich erkannt habe, wer es ist. In letzter Zeit kommen so viele Leute hierher.«
    »Wegen des Verkaufs.«
    »Ja, wegen des Verkaufs.«
    »Wollen Sie nicht einen Moment hereinkommen?«
    »Nein, nein, ich wollte Ihnen nur sagen: Vielleicht ist es gut, dass es nun endlich so weit ist.«
    »Was meinen Sie?«
    Sie hatte die ganze Zeit über nervös einen Brief in ihren Händen gehalten, den sie mir nun schüchtern entgegenstreckte. »Der lag letzte Woche im Flur«, sagte sie.
    Ich klappte den Umschlag auf und las den auf die gelbe Postkarte mit klaren Druckbuchstaben hingesetzten
Satz: »Diese Straße ist kein Friedhof. Es ist eine Schande, das Haus in diesem Zustand zu belassen.«
    Weder eine Unterschrift noch eine Absenderadresse waren auf dem Umschlag oder der Karte vermerkt. »Sind Sie auch dieser Meinung, Frau Siebers?«
    »Die Leute hier verstehen es einfach nicht. Es wird eben geredet.«
    »Diese Karte behandeln wir so, als würde sie nicht existieren. Und wann wir verkaufen, ist allein unsere Entscheidung.«
    Die kleine Frau sah mich ängstlich an. »Sie wissen, dass ich mich gern um das Haus kümmere.«
    »Ich weiß. Wir sind Ihnen dafür sehr dankbar. Ich muss mich jetzt um Maja kümmern. Guten Abend.«
    Ich ging in die Küche und zerriss die Postkarte in lauter Streifen, die ich in der Hand zu einer Kugel formte. Was waren das nur für Leute, die ihre Zeit damit verbrachten, solche Postkarten in ein leeres Haus zu werfen?
    Ich wollte zu meiner Frau, nach Kehl, in mein eigenes Haus. Mein Blick fiel in der Küche auf die alten Fotografien in den Glasrahmen. Mein Bruder und seine

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