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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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stehen, daher kann ich mich irren.
    Maja erwiderte den Blick einen Moment lang - wie erstarrt -, dann lief sie rasch in die entgegengesetzte Richtung dem Hauptfoyer zu.
    Wenig später standen wir auf den großen Steintreppen vor dem Gebäude. Ich fragte Maja, ob sie den Mann kenne.
    »Wen?«
    »Den Mann, der dich angesehen hat, unten an der Treppe, vor der Zimmertür.«
    »Ich weiß nicht. Das war sicher eine Verwechslung.«
    Maja holte eine Zigarette aus ihrem Päckchen, zündete sie an und versuchte zu lächeln: »Ich habe Hunger.«

    Während Maja in dem Bistro saß, das wir in der Nähe gefunden hatten, und eine Karte schrieb, besorgte ich mir eine deutsche Zeitung, mehr oder weniger aus Zufall jene, für die Sie schreiben. Durch die Scheiben des Bistros sah man hinaus auf eine breite Steinmauer, hinter der die Seine floss. Maja blickte neugierig zu mir herüber, während sie an ihrem Kaffee nippte. Maja fragte mich, was ich lesen würde.
    Ich hatte tatsächlich einen Artikel von Ihnen gefunden - einen Bericht über einen Musiker aus dem Kosovo, der nun in Berlin lebt.
    Maja rückte dicht neben mich und sah auf den Artikel.
    »Über was er alles schreibt. Er muss ziemlich erfolgreich sein.«
    »Ich habe den Artikel erst angefangen.«
    »Ich habe vorhin daran gedacht, wie Papa immer seine Leserbriefe beim Frühstück vorgelesen hat. Einmal meinte er, er würde Leute bewundern, die schnell schreiben könnten. Er brauchte für alles so viel Zeit.«
    »Das ist wirklich ein Talent.«
    Maja las, scheinbar absichtslos, einige Zeilen des Artikels. »Es ist unglaublich. Er schreibt, wie er spricht, ich höre sofort wieder den Ton seiner Stimme.«
    Dann wandte sie sich wieder ihrer Karte zu und verlor kein Wort mehr über Sie. Es schien danach so, als habe sie den Grund unseres Aufenthalts vollkommen verdrängt. Sie stieg mit mir die Treppen nach Montmartre hinauf, zeigte mir die riesige Kirche Sacré-Cœur,
wir fuhren mit der Metro zu einem Viertel, dessen Namen ich vergessen habe, und schlenderten durch einige Kleiderläden; in einem kaufte sich Maja ein rotes T-Shirt . Dann beschlossen wir, im Hotel eine Stunde auszuruhen.
    Die französischen Beamten hatten uns ein Zimmer in der Nähe des Vernehmungsgebäudes besorgt. Ich öffnete das Fenster; unten auf der Straße herrschte reges Treiben; immer wieder hielten Autos an, Leute stiegen aus und kauften in den Straßengeschäften Obst und Gemüse ein.
    Maja ging duschen. Sie schien erleichtert zu sein, dass die Vernehmung vorüber war. Ich hörte, wie ihr Telefon klingelte und sie im Bad mit irgendjemandem auf Deutsch redete, ohne dass ich verstand, was sie sagte. Die Fragen der Dolmetscherin kreisten noch immer durch meinen Kopf. Erst die Befragung, dann unser touristisches Umherstreifen durch die Stadt - das kam mir unwirklich und in gewisser Weise auch nicht passend vor. Ich legte mich hin, während Maja sagte, sie sei nicht müde. Sie werde noch einen Spaziergang unternehmen. Als sie nach anderthalb Stunden immer noch nicht zurückgekehrt war, begann ich mir Sorgen zu machen, doch insgeheim dachte ich die ganze Zeit: Sie hat sich mit Ihnen getroffen. Dann dachte ich wieder: Vielleicht hat sie jemand abgefangen, jemand, der wusste, dass sie als Zeugin ausgesagt hatte. Als ich es nicht mehr aushalten konnte, wählte ich Majas Nummer. Ich begann diese ganze Fahrt nach Paris zu verfluchen. Sie meldete sich nicht, obwohl der Rufton
langsam und fortwährend zu hören war. Ich ging im Zimmer auf und ab, holte mir ein Bier aus der Minibar und fühlte eine unbeschreibliche Erleichterung, als ich plötzlich das Geräusch des Schlüssels an der Tür hörte. Ich musste mich beherrschen, Maja nicht anzuschreien.
    »Was soll das, Maja? Warum tust du mir das an?« war alles, was ich vorbringen konnte.
    Sie sah mich erschrocken an. »Ich weiß nicht, was du meinst. Ich habe dir gesagt, ich mache einen Spaziergang.«
    »Erinnere dich, was die Dolmetscherin gesagt hat. Es ist nicht ungefährlich für uns, hier zu sein.«
    »Ich habe keine Angst.«
    »Mit wem hast du dich getroffen?«
    »Bernhard, ich brauche keinen Aufpasser. Du stellst mir schon genau solche Fragen wie die Beamten.«
    »Weil du dich benimmst wie ein Kind.«
    »Selbst wenn - ich brauche keine Ersatzeltern.«
    Ich fühlte dieses Wort, »Ersatzeltern«, wie einen Stich im Herzen. Ich ging zum Fenster und sah hinunter auf die Straße. Ich spürte, wie Maja mir ihre Hand auf die Schulter legte und hinter mir stehen blieb.

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