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Das Wuestenhaus

Titel: Das Wuestenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gernot Wolfram
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öffnen. Ich konnte nirgendwo einen Öffner finden. Wenig später war sie eingeschlafen.
    Ich dachte wieder an die Männer mit den Bärten und den langen Gewändern, die sich in der Lobby so dicht an uns herangedrängt hatten.
    Ich ging hinunter in die Bar, um noch ein Bier zu trinken, weil ich nicht schlafen konnte. Ich war außerdem viel zu aufgeregt, um mich überhaupt hinzulegen. Das Bier stieg mir in den Kopf.
    In einem der unteren Flure, die in die Lobby führten, sah ich einen der bärtigen Männer - ausgerechnet jenen, der sich im Hoteleingang so dicht an mich gedrückt hatte - vor einem Computer sitzen, an einem dieser für Gäste aufgestellten Ecktische mit Gratis-Internetzugang. Neben ihm stand der Junge, der jedoch mit Jeans und einem blauen T-Shirt bekleidet war.
    Fremde Laute hervorsprudelnd, erklärte der Mann dem Jungen die Digitalversion eines Online-Pokerspiels. Mehrere Karten erschienen auf dem Bildschirm; schnell flatterten sie herbei und verschwanden auch genauso schnell wieder. Ich blieb einen Moment in
dem langen Flur mit dem hellroten Läufer stehen und beobachtete die beiden.
    Vielleicht lag es an der Müdigkeit oder am Alkohol, dass ich mir einbildete, der Mann sei dort abgestellt, um uns zu beobachten. Konnte es nicht sein, dass er einen Auftrag ausführte, dass er die Funktion eines Wachpostens übernommen hatte? Immerhin, er hielt sich nicht allzu weit von unserem Zimmer entfernt auf, konnte genau beobachten, wer in die oberen Stockwerke ging und wer sie verließ.
    All das roch für mich nach einem geschickt ausgeklügelten Bewachungssystem, bei dem das nimmermüde Kind lediglich als Alibi diente. Vielleicht werden Sie über mich lachen, aber genau das dachte ich in diesem Moment: Sie sind wegen uns hier.
    Der Bärtige schien mich überhaupt nicht zu bemerken. So vertieft war er in das immer wieder neu aufflackernde Sortiment der Karten, in das Aufblinken und Aufblitzen der Spielseite. Schließlich zog er das Kind auf seinen Schoß. Die Beine des Jungen reichten nicht bis auf den Boden und schlenkerten fröhlich in der Luft. Vornübergebeugt saß er vor dem Bildschirm und fuhr mit seinem Zeigefinger über die Tastatur, bis er die Tasten gefunden hatte, die er suchte. Nach einer Weile hatte er offenbar ein Spiel gewonnen, denn er sprang plötzlich auf, klatschte in die Hände und kicherte laut.
    Der Mann streichelte ihm über den Kopf und sagte ihm ein paar anerkennende Worte. Man sah, wie stolz er auf den Jungen war. Eine der Türen im Gang öffnete
sich, und ein anderer, wesentlich jüngerer Mann erschien; ich glaubte in ihm denjenigen wiederzuerkennen, den ich Stunden zuvor in der Lobby mit dem Mobiltelefon in der Hand gesehen hatte. Er war groß gewachsen; seine Haare waren unter einer weißen Mütze versteckt. Das Gesicht war schmal und kantig. Er trug eine kleine randlose Brille; sein Gewand war ebenfalls blendend weiß.
    Als er mich am fernen Eingang des Flurs stehen sah, herrschte er seinen Kollegen mit ein paar kurzen, scharfen Worten an. Der Mann erhob sich augenblicklich, setzte das Kind wieder auf den Boden und schob es rasch in das Zimmer, nicht ohne jedoch mit einer bewundernswert schnellen Handbewegung den ganzen Computerbildschirm von dem Spiel zu reinigen. Plötzlich prangte dort wieder in leuchtend roten Farben das Logo des Hotels. Dann kam der Mann mit der Mütze auf mich zu, langsam und mit sicheren Schritten. Er blieb in einigem Abstand vor mir stehen und lächelte höflich. Er sagte ein paar Worte auf Französisch - ich verstand kein Wort, begriff aber, dass er mir eine Frage stellte. Dann streckte er mir seine Hand entgegen. Automatisch griff ich nach der Hand und sagte: »Ich bin nur zufällig hier. Ich wohne oben.«
    Der Mann hatte trockene Hände.
    Plötzlich wurde er ernst, ließ meine Hand los und sagte in einem nur schwer verständlichen Deutsch: »Warum beobachten Sie uns? Mein Sohn fürchtet sich vor Ihnen.«
    »Vor mir? Das ist nicht Ihr Ernst.«

    Der Mann nahm seine Brille ab, schüttelte den Kopf und wies kurz mit der Hand in Richtung der Lobby. Er wartete, bis ich fort war. Seine Schritte waren kaum zu hören auf dem weichen Gangteppich.
    Ich ging zurück an die Bar des Hotels und bestellte mir ein weiteres Bier. Mir war schwindlig, gleichzeitig wollte ich irgendjemandem erzählen, was ich gerade erlebt hatte. Ich spürte, wie betrunken ich war.
    Die Gesichter der Vernehmer tauchten wieder vor mir auf, die Gestalt des Jungen vor dem Computer, die

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